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Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa

Inhalt

Bewaffneter Kampf - ein zentrales Problem der revolutionären Theorie 3

Bewaffneter Kampf und Generalstreik 6

Proletarisches Bewußtsein, revolutionäre Theorie und die Rolle der revolutionären Intelligenz 14

Revolutionäre Avantgarde und proletarische Klasse 23

Stadtguerilla als revolutionäre Interventionsmethode in den Metropolen 28

Terror gegen den Herrschaftsapparat - ein notwendiges Element der Massenkämpfe 33

Die Kraft der Volksmassen konkret entdecken und so die Resignation in den Massen überwinden! 40

Revolution und jugendliche Gesellschaft 50

Die revolutionäre Organisation des Proletariats im und durch den bewaffneten Kampf schaffen! 57

Die Angst vor dem Faschismus überwinden, um seine Wurzeln zu vernichten! 60


" Die Geschichte lehrt uns, daß richtige politische und militärische Linien nicht spontan und friedlich, sondern im Kampf entstehen und sich entwickeln. Der Kampf für diese Linien muß einerseits gegen den 'linken' Opportunismus, andererseits gegen den Rechtsopportunismus geführt werden."
( Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke I, S. 227)

1. Bewaffneter Kampf - ein zentrales Problem der revolutionären Theorie

Immer mehr junge Menschen erwachen heute zu einem revolutionären Bewußtsein. Die Bereitschaft, konsequent und diszipliniert für die proletarische. Revolution zu arbeiten, wächst. Die Einsicht, daß diese Revolution ohne eine wissenschaftliche revolutionäre Theorie nicht siegen kann, setzt sich durch; doch werden kaum Konsequenzen daraus gezogen.
Die revolutionäre Theorie ist keine akademische Betrachtung, nicht nur eine Erklärung gesellschaftlicher Zusammenhänge, sondern in erster Linie eine Anleitung zum revolutionären Handeln. Sie muß auf die Frage nach den Kräften, den Zielen, den Mitteln und Wegen der sozialistischen Revolution eine konkrete und praktische Antwort geben. Sie muß die Frage der Macht im Staate richtig lösen; Auskunft geben, ob ein "friedlicher Übergang zum Sozialismus", ein gewaltloser Übergang der Macht aus den Händen des Kapitals auf die Organisationen des Proletariats unter den konkreten gesellschaftlichen Umständen möglich ist. Schwärmereien und Beschwörungen zählen nicht. Die widerstreitenden Klasseninteressen, die Mittel und Methoden der Herrschenden, ihre Macht zu bewahren, müssen untersucht werden. Die notwendigen und möglichen Schritte zur Diktatur des Proletariats müssen entwickelt werden - sonst ist die revolutionäre Theorie lückenhaft, keine Anleitung zu richtigem Handeln.
Eine große Gefahr besteht darin, daß tatsächlich vorhandene Lücken nicht rechtzeitig erkannt werden, weil die Revolutionäre glauben, gegenwärtige Fragen des revolutionären Prozesses mit vergangenen Lösungen beantworten zu können. Geschichtliche Erfahrungen - niemand bestreitet das - sind die Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus. Er ist Inbegriff der aus diesen Erfahrungen abgeleiteten Erkenntnisse ober die allgemeinen Bewegungsgesetze der Gesellschaft. Allein die schöpferische Anwendung dieser Erkenntnisse auf die jeweilige konkrete Situation kann - die Revolution voran bringen. Erfolgreiche Klassenkämpfe der Vergangenheit sind nicht Vorbilder,die man kopieren sollte, sondern Lehrstücke. Die Pariser Kommune 1871,der Sieg der russischen Oktoberrevolution und der Erfolg des Volkskrieges in China sind aus gänzlich verschiedenen, mit unserer Situation heute nicht vergleichbaren gesellschaftlichen Bedingungen hervorgegangen. Gleichwohl werden wir keine zureichende revolutionäre Theorie entwickeln können, wenn wir aus diesen Erfahrungen nicht die auch für unser Handeln gültigen Lehren ziehen.
Das Studium der geschichtlichen Lehrstücke wird nur dann erfolgreich sein, wenn wir das Verhältnis des Besondern zum Allgemeinen in den Erscheinungen richtig verstehen. Das Allgemeine existiert im Besondern, wie das Besondere in das Allgemeine eingeht. Entwicklung und Verlauf des Pariser März- Aufstandes von 1871, der russischen Oktoberrevolution, des Volkskrieges in China und des Sturzes des Batista- Regimes in Kuba zeigen,daß sich der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat um die Gestaltung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse zum bewaffneten Konflikt, zum Bürgerkrieg zuspitzt.
Der bewaffnete Kampf als höchste Form des Klassenkampfes folgt aus der Tatsache, daß es den besitzenden Klassen gelungen ist, sich den bestimmenden Einfluß auf die staatlichen Machthebel zu sichern und das staatliche Monopol über die letztlich entscheidenden Gewaltinstrumente - Polizei und Armee - durchzusetzen. Diese Feststellung gilt sowohl für die offene als auch für die parlamentarische Form der Diktatur der Bourgeoisie. Das gesellschaftliche Gewaltpotential ist weitgehend zu einem Herrschaftsinstrument in den Händen der besitzenden Klassen, eine Waffe zur Verteidigung ihrer Vorrechte gegen die Ansprüche der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft, der ausgebeuteten Produzenten,geworden. Noch nie hat eine besitzende Klasse in gesellschaftlichem Maßstab auf ihr Eigentum an den Produktionsmitteln, auf ihre Privilegien verzichtet.
Nichts spricht dafür, daß sich das geändert haben könnte. Die Namen von Auschwitz, Sétif, Vietnam, Indonesien, Amman stehen für die Erfahrung, daß Massaker nicht der Vergangenheit überwundener Herrschaftssysteme angehören, sondern nach wie vor zum Instrumentarium der Herrschenden gehören, Sie identifizieren ihre physische und gesellschaftliche Existenz mit ihrer Machtstellung als ausbeutende Klasse. Sie können sich eine andere Existenzweise für sich nicht vorstellen. Mit der Energie ihres Selbsterhaltungstriebes kämpfen sie bis zur letzten Konsequenz um die Erhaltung ihrer Herrschaft. Wo immer der Kapitalismus noch über reale Macht verfügt, wird er sie zur Verlängerung seiner Existenz einsetzen.
Die Erwartung eines friedlichen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus hat für die Metropolen keine materielle Grundlage. Die aus den sozialen Erhebungen der Vergangenheit und Gegenwart zu ziehenden Lehren begründen hinreichend die Einsicht, daß der revolutionäre Klassenkampf des Proletariats gegen die Herrschaft des Kapitals in seinem entscheidenden, höchsten Stadium zum bewaffneten Bürgerkrieg führt, daß der bewaffnete Kampf das höchste Stadium des Klassenkampfes ist. Mao Tse-tung hat diese Einsicht 1938 wie folgt formuliert:

" Die zentrale Aufgabe der Revolution und ihre höchste Form ist die bewaffnete Machtergreifung, ist die Lösung der Frage durch den Krieg. Dieses revolutionäre Prinzip des Marxismus- Leninismus hat allgemeine Gültigkeit, es gilt überall, in China wie im Ausland." ( Ausgewählte Werke I I, S. 285)

Ist unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen die bewaffnete Phase des Klassenkampfes unvermeidlich, so muß eine revolutionäre Theorie den militärischen Aspekt des Klassenkampfes adäquat widerspiegeln und eine konkrete Anleitung zum militärischen Handeln geben. Der Primat der Politik in der sozialistischen Revolution kann und darf nicht bedeuten,daß man die politische Mitte des Klassenkampfes isoliert betrachtet und andere wesentliche Aspekte vernachlässigt; denn das hieße, nur einen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit bedenken, das Ganze also falsch widerspiegeln. Der Primat der Politik gilt uneingeschränkt. Er kann jedoch nur heißen, daß die militärischen Formen des Kampfes den politischer Zielen der Revolution untergeordnet sind.
Lenin hat eine richtige militärische Theorie des bewaffneten Aufstandes unter den Bedingungen eines imperialistischen Weltkrieges entwickelt. Marx und Engels haben aus den Erfahrungen der Revolutionen von 1848 bis 1850 und der Pariser Kommune wichtige Prinzipien für die militärische Phase des Klassenkampfes abgeleitet, die auch heute noch ihre Bedeutung haben.
Insgesamt haben die Klassiker der revolutionären Theorie die Annahme einer militärischen Phase des Klassenkampfes nicht verworfen, sondern im Gegenteil als ein unvermeidliches Stadium der Revolution gesehen, das es theoretisch zu bewältigen gilt. Die Bedeutung des Beitrages Mao Tse-tungs zur zeitgenössischen revolutionären Theorie besteht u. a. in der durch den chinesischen Volkskrieg überprüften und bestätigten These, daß die revolutionäre Organisation des Proletariats die Revolution nur dann zum Siege führen kann, wenn sie zugleich eine militärische ist, wenn die kommunistische Partei auch eine Rote Armee der revolutionären Klassen aufbaut.
Mao hat erkannt, daß unter den Bedingungen des weltweit organisierten Imperialismus der Widerspruch der militärischen Organisation der antagonistischen Klassen der Hauptwiderspruch während einer langen Periode des sich allmählich entwickelnden revolutionären Volkskrieges ist, dessen Bewegung den Gang der Revolution bestimmt. Folgerichtig hat er stets der militärischen Frage seine besondere Aufmerksamkeit zugewandt und durch seine Handlungsanleitungen den Primat der Politik durchgesetzt.

Bei der Erarbeitung der militärischen Theorie der proletarischen Revolution hat er in ständiger Auseinandersetzung mit der Fraktion der Dogmatiker in der eigenen Partei, die unkritisch sowjetrussische Vorbilder übernehmen wollten, die Prinzipien der dialektisch-materialistischen Erkenntnistheorie korrekt angewandt, indem er die Übertragung der von den Klassikern aufgrund anderer gesellschaftlicher Umstände gezogenen Schlußfolgerungen, deren Überstülpung auf die chinesischen Verhältnisse, konsequent bekämpfte und die Partei dazu erzog, die gesellschaftlichen Zusammenhänge im revolutionären China mit den Methoden des dialektischen Materialismus selbständig zu analysieren und so die chinesische Gesellschaft erst zu erkennen, um dann die aus den chinesischen Verhältnissen notwendigen und richtigen Schlüsse zu ziehen. Nur auf diesem Wege konnte die revolutionäre Theorie entstehen, die die revolutionären Klassen Chinas zum Siege führte.
In der Methode hat Mao den Weg gewiesen, den künftig alle revolutionären Bewegungen zu gehen haben. Dieser Weg besteht darin: die militärischen Konsequenzen des Klassenkampfes als ein zentrales Problem in die revolutionäre Theorie und Praxis einbeziehen, die Besonderheiten in den Beziehungen der einzelnen Klassen zum revolutionären Kampf des Proletariats und des Kräfteverhältnisses zwischen den antagonistischen Klassen sorgfältig studieren; keine Schemata übernehmen, sondern durch selbständige analytische Untersuchungen die angesichts des Kräfteverhältnisses möglichen und aussichtsreichen Formen des militärischen Kampfes zur Entmachtung des Kapitals entdecken und praktisch anwenden; durch praktische Erfahrungen das politisch-militärische Konzept überprüfen und erforderlichenfalls korrigieren; durch den praktischen Kampf das Kräfteverhältnis zugunsten der revolutionären Klassen verändern, darauf aufbauend unter den veränderten Umständen den militärischen und politischen Kampf auf die nächste, höhere Stufe heben usw., bis zum endgültigen Sieg des Proletariats.

2. Bewaffneter Kampf und Generalstreik

Gegenwärtig erleben wir in der Bundesrepublik und in Westberlin die Bemühungen zahlreicher Genossen, revolutionäre proletarische Parteien aufzubauen, nach bolschewistischen Prinzipien die Industriearbeiterin ihren Betrieben zu organisieren, in der Arbeiterschaft die sozialistische Revolution zu propagieren.
Aber wie stellen sie sich diese Revolution vor? Welche revolutionäre Theorie liegt ihren organisatorischen Bemühungen zugrunde? Was sagen sieden Arbeitern über den voraussichtlichen Verlauf der Revolution,über die Gefahr der Verfälschung strategischer und taktischer Prinzipien? Welches ist die Richtung, in die die Arbeiterschaft gehen soll, um den revolutionären Prozeß bewußt zu formen und in der Revolution zu führen?
Sie sagen den Arbeitern, daß die Herrschaft des Kapitals beseitigt, die Diktatur des Proletariats errichtet und die Produktionsmittel in gesellschaftliche Verfügung genommen werden müssen. Sie propagieren Massenaktionen, eine zentralistisch-demokratische Organisation der Avantgarde des Proletariats, die revolutionäre kommunistische Partei, die Solidarität aller Unterdrückten. Was sagen sie, wenn die Arbeiterfragen, wie die Unterdrückungsapparatur des imperialistischen Staates bezwungen und schließlich zerschlagen werden kann? Wollen sie antworten,daß die Macht des Kapitals allein durch die "machtvollen Manifestationen des Volkswillens", durch den Generalstreik und die Besetzung der Fabriken durch die Arbeiter gebrochen wird?
Auch eine im nationalen Maßstab organisierte, in den Massen verankerte,nach bolschewistischen Prinzipien geschulte und erfahrene Arbeiterpartei wird nicht verhindern können, daß die Herrschenden gegen die Demonstrationen und Streiks die Polizei und die Armee einsetzen und ein Blutbad anrichten. Sie wird nicht verhindern können, daß die aktivsten revolutionären Kader zu Tausenden in die faschistischen Konzentrationslager verschleppt oder gleich an Ort und Stelle umgebracht werden. Sie wird nicht verhindern können, daß der Generalstreik am Hunger und der Erschöpfung der Massen zugrunde geht. Diese werden zum soundsovielten Male geschlagen und von ihrer Führung, die sie wehrlos in diese Auseinandersetzung geführt hat, enttäuscht sein.
Die bürgerliche Staatsmacht wird wohl durch den Aufschwung der revolutionären Massenbewegung geschwächt, aber nicht vernichtend geschlagen. Bricht der Ansturm der Massen erst einmal im Feuer der Konterrevolution zusammen, wird das Kapital zunächst gestärkt aus der Auseinandersetzung hervorgehen, eine faschistische Diktatur errichten und den " Arbeitsfrieden" nach dem Diktat der Eigentümer wiederherstellen. Der Generalstreik lähmt zwar die Wirtschaft eines Industrielandes, er löst aber nicht automatisch die Machtfrage. Mit der Desorganisation entzieht er auch dem Proletariat, und diesem in Ermangelung von Reserven sehr viel schneller, die materielle Existenzgrundlage.
Während der Mairevolution in Frankreich hätte wohl eine in nationalem Maßstab organisierte revolutionäre Partei ein weiteres Durchhalten des Streiks für einige Wochen organisieren können (bestenfalls). Na und? Selbst wenn Überall Arbeiterkomitees "die Macht" in den Städten übernommen hätten, wenn die Fabrikkomitees die Produktion für die Bedürfnisse des Proletariats organisiert hätten, wäre damit den Herrschenden die Unterdrückungsapparatur der Polizei und der Armee nicht entwunden worden. Die Theorie von dem in den allgemeinen Aufstand überzuleitenden Generalstreik spukt als Gespenst immer noch in den Köpfen der Revolutionäre - sie bleibt ein Gespenst, wenn der allgemeine Aufstand nicht begriffen wird als das Endstadium eines langwierigen bewaffneten Kampfes gegen den staatlichen Unterdrückungsapparat, der nur durch diesen Kampf allmählich zermürbt, demoralisiert und schließlich zerschlagen werden kann.
Im Gegensatz zu den streikenden Arbeitern verfügt eine intakte Armee über eine durchgebildete, die ganze Nation umfassende Befehlsstruktur. Die Vorrate dieser Armee an Versorgungsgütern, Waffen, Munition und Ausrüstung sind nicht nur für den äußeren Konflikt,sondern auch für einen Bürgerkrieg ausreichend kalkuliert. Das militärische Transport- und Nachrichtenwesen ist von den öffentlichen Verkehrs- und Kommunikationsmitteln unabhängig. Ein Streik der Eisenbahner und Postbediensteten könnte den militärischen Apparat nicht entscheidend treffen. Eine Armee hat es darüber hinaus noch immer verstanden, durch geeignete militärische Operationen die für ihre Versorgung notwendigen Güter zu requirieren und eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Produktion in Gang zu bringen. Der Soldat verhungert immer zuletzt.

Diese für die Massenkämpfe ungünstige strategische Ausgangslage ist nicht neu. Sie hat auch in der Vergangenheit die Frage nach einer angepaßten Perspektive des militärischen aufgeworfen. Engels hat sich seit seiner aktiven Teilnahme an militärischen Gefechten während der Verfassungskampagne 1849 intensiv mit den Problemen des Krieges im allgemeinen und des revolutionären Bürgerkrieges im besonderen befaßt.
In seinem von der deutschen Sozialdemokratie weidlich mißbrauchten"politischen Testament" - im Vorwort zu " Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850" - legte er dar, daß angesichts des Fortschritts der Kriegstechnik die Rebellion alten Stils, "der Straßenkampf mit Barrikaden, der bis 1848 überall die letzte Entscheidung gab" überholt sei. Die neue Perspektive glaubte Engels in der allgemeinen Wehrpflicht gefunden zu haben.

" Je mehr Arbeiter in den Waffen geübt werden, desto besser. Die allgemeine Wehrpflicht ist die notwendige und natürliche Ergänzung des allgemeinen Stimmrechts; sie setzt die Stimmenden in den Stand, ihre Beschlüsse gegen alle Staatsstreichversuche mit den Waffen in der Hand durchzusetzen. Die mehr und mehr konsequente Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht ist der einzige Punkt, der die Arbeiterklasse Deutschlands in der preußischen Armeeorganisation interessiert . .."

schrieb Engels 1865 (" Die preußische Militärlage und die deutsche Arbeiterpartei").

Daß Engels in diesem Punkt irrte, bedarf nach der mehr als hundertjährigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung keine weiteren Darlegung. Liegt auch die größere Unzuverlässigkeit einer Wehrpflichtigen- Armee auf der Hand - was sich gegenwärtig auch wieder beider U S- Armee in Vietnam zeige - so ist die Spekulation auf die massenhafte revolutionäre Gehorsamsverweigerung und die Fraternisierung der proletarischen Soldaten nur in seltenen Ausnahmefällen nach militärischen Katastrophen in Völkerkriegen aufgegangen. Dem Frontwechsel der Armee in einem Bürgerkrieg wirken zahlreiche Tendenzen entgegen, u. a. auch die von Engels erkannte Tatsache, daß in der proletarischen Revolution das Volk weniger geschlossen in den Kampf zieht,als es bei der bürgerlich-demokratischen Revolution noch der Fall war. In dem bereits erwähnten Vorwort schrieb Engels 1895:

" Ein Aufstand, mit dem alle Volksschichten sympathisieren,kommt schwerlich wieder; im Klassenkampf werden sich wohl nie alle Mittelschichten so ausschließlich ums Proletariat gruppieren, daß die um die Bourgeoisie sich scharende Reaktionspartei dagegen fast verschwindet. Das ' Volk' wird also immer geteilt erscheinen."

Nach der russischen Revolution von 1905 äußerte sich Lenin unter dem Eindruck der Erhebung im gleichen Sinne:

" Es ist ganz natürlich und unvermeidlich, daß der Aufstand die höheren und komplizierteren Formen eines langwierigen Bürgerkrieges, d. h. des bewaffneten Kampfes des einen Teiles des Volkes gegen den anderen, annimmt."
( Lenin: Der Partisanenkrieg; Werke 11/202 ff)

Erst jüngst sind diese Erkenntnisse durch die Maiereignisse in Frankreich bestätigt worden. Die Zerrissenheit des Volkes in der proletarischen Revolution ist die Bedingung eines weiteren Machtgewinns für die Konterrevolution. Schon während der russischen Revolution von 1905 organisierten sich faschistische Terrorbanden, die sogenannten Schwarzhunderter. Durch Lenin ist uns das von dem zaristischen Polizeidirektor Lopuchin formulierte Programm der faschistischen Repression überliefert:

" Als es keine wirkliche revolutionäre Volksbewegung gab,als der politische Kampf noch nicht mit dem Klassenkampf zu einem Ganzen verbunden war, da genügten, weil es nur um einzelne Personen und Zirkel ging, bloße Polizeimaßnahmen. Gegen Klassen erwiesen sich diese Maßnahmen als bis zur Lächerlichkeit wirkungslos, und die Unzahl der Maßnahmen begann zu einem Hemmnis für die Arbeit der Polizei zu werden . . .
Gegen die Volksrevolution, gegen den Klassenkampf kann man sich nicht auf die Polizei stützen, man muß sich ebenfalls auf das Volk, ebenfalls auf Klassen stützen . . .
Man muß die nationale Zwietracht, die Rassenzwietracht schüren, man muß aus den Reihen der am wenigsten aufgeklärten Schichten der städtischen (und später selbstverständlich auch der ländlichen Kleinbourgeoisie' Schwarzhundertschaften' rekrutieren, man muß versuchen, alle reaktionären Elemente in der Bevölkerung selbst zur Verteidigung des Throns zusammenzuschließen, man muß den Kampf der Polizei gegen Zirkel in einen Kampf des einen Teils des Volkes gegen den deren Teil des Volkes verwandeln. So verfährt jetzt auch die Regierung: . . ."

Soweit die Ausführungen Lenins zur Denkschrift eines zaristischen Polizisten ( Werke 8/193).
Diese unmittelbar aus der Entfaltung des Klassenkampfes folgende geschichtliche Tendenz hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt und in den italienischen Schwarzhemden, den " Sturmabteilungen" (SA) und den" Schutzstaffeln" (SS) der Nazis ihre vorläufige Vollendung gefunden. " Vollendung" des faschistischen Terrors ist aber nicht gleichbedeutend mit seiner " Beendigung". Die Herrschenden haben die Lektion nicht verlernt. In Frankreich folgte auf die Demonstration von 1 Million Arbeitern und Studenten vom 13. Mai die "manifestation" von 800 000 Bourgeois und kleinbürgerlichen Elementen, die ihre Entschlossenheit zur Verteidigung des kapitalistischen Systems bekundeten und unverzüglich darangingen, im ganzen Land " Komitees zur Verteidigung der Republik" (CDR) zu organisieren.
Wer wollte nach den geschichtlichen Erfahrungen leugnen, daß die im Rücken der proletarischen Organisationen operierenden faschistischen Verbände durch allgemeinen Terror, Spitzeldienste und Provokationen die Armee- und Polizeieinheiten bei der Niederwerfung des Aufstandes sehr wirksam unterstützen können?
Den Herrschenden ist auch die Unzuverlässigkeit eines aus dem Volke rekrutierten Wehrpflichtigen- Heeres nicht verborgen geblieben. Angesichts der steigenden revolutionären Flut ist in allen westlichen Industrieländern die Tendenz feststellbar, die Wehrpflicht zu kassieren und Elite- Einheiten für die Bekämpfung von Aufständen und Guerilla- Aktionen aufzustellen, den proletarischen Soldaten zu ersetzen durch den technisch perfektionierten Berufskiller. Derartige Kampfeinheiten sind gegen Desertationstendenzen weitgehend immun. Eine Fraternisierung des Berufsheere mit den revolutionären Massen wird zur blanken Utopie.
Es ist gegenwärtig nicht schwer vorstellbar, daß die proletarischen Massen in Frankreich und Italien mit Generalstreiks und Aufständen nach der Macht greifen. Ebenso leicht ist aber auch das Vorgehen und die Politik der Militärkaste abzusehen. General Massu war während der Maiereignisse in Frankreich im Begriff, die militärische Phase des Klassenkampfes einzuleiten. Seine Panzereinheiten marschierten unter dem Beifall der bürgerlichen Presse auf Paris.
Man sollte, wenn man an Revolution denkt, sich konkret vorstellen, was die seinem Befehl unterstellten Eliteeinheiten unter der französischen Proletariat angerichtet hätten. Man mag einwenden,daß ein Durchgreifen der Armee nur um den Preis schwerer Zusammenstöße mit vielen Toten möglich gewesen wäre,daß sich Teile der Wehrpflichtigen- Armee geweigert hätten, auf Arbeiter zu schießen. Wären die Herrschenden vor einem Blutbad zurückgeschreckt? Moralische Skrupel wird ihnen niemand unterstellen wollen. Sicher, sie weichen zuweilen zurück, machen Zugeständnisse, lassen Kabinette fallen, gehen Koalitionen mit traditionell-kommunistischen Parteien ein, wenn diese sich auf den Boden der Bürgerlichen Verfassung stellen, schrecken scheinbar vor den "Äußersten"zurück.
Die Gründe für diese Nachgiebigkeit zeigen zugleich ihre Grenzen: Sie ist ein Selbsterhaltungsreflex. Das Kapital geht einen Schritt zurück, um den Schlag des Proletariats abzufangen und die Kraft für den Gegenschlag zu erhalten. Es wird aber nicht abdanken. Trotz Fabrikbesetzungen, Selbstversorgung und proletarischer Verwaltung wäre durch das Eingreifen der Armee der Revolutionären die Initiative verlorengegangen.
Die Militärpolitik in solchen Fällen ist erprobt und im wesentlichen überall die gleiche: Zuverlässige Verbände der Armee führen an strategisch wichtigen Punkten die Überlegenheit des Unterdrückungsapparates exemplarisch vor. Dadurch werden schwankende und inaktive Einheiten der Polizei und Armee stabilisiert und gleichzeitig wichtige Stellungen des Proletariats liquidiert, insbesondere die in jeder Revolution vorhandenen Orientierungspunkte - im Mai 1968 waren es die Autowerke von Renault und Citroen -, die wie eine Fahne in der Schlacht Sieg oder Niederlage signalisieren.
Die aktiven Kader, die Mitglieder der proletarischen Verwaltungsorgane, die unmöglich konspirativ arbeiten können, die Führer des Streiks bzw. Aufstandes werden zu Tausenden verhaftet, in Konzentrationslager verschleppt oder unter dem Kriegsrecht erschossen. Versorgungsaktionen des Proletariats werden von der Armee unterbunden und als Plünderung nach Kriegsrecht bestraft. Sie übernimmt statt dessen unter dem Vorwand einer gerechteren Bedarfsdeckung selbst die Verteilung der notwendigen Lebensmittel an die Bevölkerung. Durch Hilfsprogramme des internationalen Kapitals ist die Armee häufig auch in der Lage, mehr und bessere Versorgungsgüter heranzuschaffen.
Auf der anderen Seite werden die Herrschenden ihre Bereitschaft beteuern, nach Wiederherstellung der Ordnung auf die "berechtigten Forderungen der Arbeiter" einzugehen. Je länger die Auseinandersetzungen andauern,desto größer wird die Gefahr, daß Fraktionen der Arbeiterschaft in Verhandlungen mit den bürgerlichen Parteien eintreten,"um zu retten, was zu retten ist". Die Schlacht ist verloren.

Wer könnte die Armee- Einheiten an der Bewegung im Lande hindern? Wer wolle in einer solchen Lage die Panzer, die Hubschrauber, die mobilen Kolonnen, die Säuberungskommandos der " Paras"," Marines", " Rangers" oder wie sie immer heißen mögen, aufhalten? Die aus dem Boden gestampften, schlecht ausgebildeten und unerfahrenen Kampfeinheiten der Arbeiter, die sich bestenfalls durch Aktionen gegen Polizeistationen und Armeeaußenposten nur mit leichten Waffen ausrüsten könnten? Sollten sich reguläre Armee- Abteilungen auf die Seite der Revolution schlagen, ihr Potential wäre schnell aufgerieben.
Das alles liegt auf der Hand. Es scheint jedoch, als wachse die Neigung, vor den militärischen Bedingungen der Revolution die Augen zu verschließen, in gleichem Maße wie der Unterdrückungsapparat auf die Niederschlagung von Unruhen und Aufständen spezialisiert wird. Anders ist es wohl kaum zu erklären, daß Mandel, ein bedeutender revolutionärer Theoretiker der Gegenwart, nach den Erfahrungen der Revolution von 1968 eine " Typologie der Revolution in imperialistischen Ländern" entwirft, deren strategische Elemente sind:" Generalstreik . . . , Fabrikbesetzungen, immer massivere und härtere Streikposten (?), die unmittelbare Entgegnung auf jede Art von gewaltsamer Unterdrückung (?), Demonstrationen auf der Straße, die sich in gefechtsartige Zustände und beständige Fühlungnahme mit den Kräften der Unterdrückung (?) bis zum Wiedererscheinen von Barrikaden verwandeln . . ." In einer Fußnote (!) unternimmt er es, das militärische Programm zu konkretisieren. Das hört sich so an:

" Seit dem Beginn der Fabrikbesetzungen suchten die Unterdrückungskräfte, einige von den Streikenden besetzte strategische Punkte zurückzugewinnen, so zum Beispiel das Fernmeldeamt. Eine Arbeiterbewegung, die von den Ereignissen nicht unvorbereitet überrascht worden wäre, hätte es verstanden diese ohne Widerstand eroberten Schlüsselpositionen zu verteidigen und diese Provokationen der Macht (!) zum Anlaß zu nehmen, den Massen Schritt für Schritt die Vorstellung einer der Verteidigung dienenden Bewaffnung der Streikposten beizubringen. Auf diese Weise hätte 'die Angst vordem Bürgerkrieg' durch den Willen zur Selbstverteidigung ersetzt werden können."

Solche Konzepte mögen taugen für ein Land, wo die Armee mit Mottenkugeln schmeißt. Indessen würde jeder französische Unteroffizier aus dem Stegreif einen tauglichen Kriegsplan für die Liquidierung eines so gearteten "militärischen Widerstandes"entwickeln können. Es ist zum Weinen! Was kommt dann nach solchen Abenteuern?
Nach der militärischen Niederlage folgt für die dezimierten Kader die Zeit des " Widerstandes" in der Illegalität, das Bündnis mit allen "antifaschistischen" Kräften, mögen diese auch Fraktionen des Bürgertums sein. Die Kraft der faschistischen Diktatur wird allmählich nachlassen. Die " Einheitsfront" der demokratischen Kräfte erscheint auf der Bühne, die politische Erhebung rückt in den Bereich des Möglichen. Ihr Ergebnis kann aber wiederum nur die Herstellung der "bürgerlichen Demokratie" -also der präfaschistischen Formation der verschleierten Diktatur der Bourgeoisie - sein.
Denn nur um diesen Preis ist die Einheitsfront und ein Ende des faschistischen Regimes möglich. Nur wenn die "bürgerliche Demokratie"gewährleistet ist, zeigt sich das Kapital nachgiebig und bereit, seine faschistischen Statthalter abzuberufen. Es entsteht so ein Kreislauf der verschiedenen Herrschaftsformen des Kapitals. Auf die parlamentarische Scheindemokratie folgt die offene, faschistische Diktatur der Bourgeoisie,dieser wiederum die parlamentarische Herrschaftsform usw., bis das Proletariat endlich begriffen hat, daß die militärische Niederringung des Klassenfeindes durch keine andere Kampfform, durch kein Bündnis mit anderen politischen Kräften, durch keine Volks- und Einheitsfrontpolitik ersetzt werden kann, sondern daß alle anderen Formen des Klassenkampfes und politische Bündnisse nur eine unterstützende Bedeutung für den bewaffneten Kampf haben können. Das ist die Perspektive der endlosen Irrtümer und blutigen Niederlagen. Sie wird die Arbeiter kaum davon überzeugen können,daß es notwendig und sinnvoll ist, sich zu engagieren und am revolutionären Kampf teilzunehmen. Eines sollten die Genossen begriffen haben: nicht die sichere Erwartung der Niederlage, sondern nur die Aussicht auf den Sieg begeistert die Massen zu revolutionären Taten. Ohne diese Begeisterung hat in der Geschichte der Klassenkämpfe noch keine Revolution gesiegt.
Deshalb "müssen (wir) den Volksmassen die Perspektive unseres Sieges im Krieg vor Augen führen und ihnen begreiflich machen, daß die Niederlagen und Schwierigkeiten vorübergehenden Charakter haben und daß der endgültige Sieg zweifellos unser sein wird, wenn wir trotz aller möglichen Rückschläge unbeugsam kämpfen".( Mao)
Daraus folgt aber zugleich, daß auch die bestorganisierte und ausgebildete Kaderpartei die Massen nicht wird mobilisieren können, wenn sie nicht in der Lage ist, den Massen überzeugend die Möglichkeiten eine Sieges aufzuzeigen. Da helfen keine Tricks. Die vielfach belogenen,enttäuschten und geschlagenen Massen sind in dieser Hinsicht sehr kritisch.

3. Proletarisches Bewußtsein, revolutionäre Theorie und die Rolle der revolutionären Intelligenz

Die oben entwickelte hypothetische Diskussion zwischen revolutionären Kadern und Arbeitern ist ein erster entscheidender Prüfstein für die Tauglichkeit einer revolutionären Theorie. Jede Propaganda, die revolutionäre Ziele proklamiert, wird wirkungslos bleiben, wenn sie nicht die konkreten Wege bezeichnet, auf denen diese Ziele erreicht werden können. Hier liegt ein entscheidender Unterschied zur bürgerlichen" Bauernfängerei". Die bürgerliche Propaganda will die Massen gerade von selbständigem politischen Handeln fernhalten und lediglich die Akklamation zu einem "stellvertretenden" Handeln durch politische Parteien und Parlamentarier erreichen.
Dafür sind nebulose, schönklingende, im Grunde nichtssagende, jedoch alles-verheißende Parolen vorzüglich geeignet. Die revolutionäre Propaganda dagegen zielt auf die eigene,selbstbewußte Aktion der Massen. Sie hat für diese Aktion Handlungsanleitungen zu empfehlen, die notwendig konkret und realistisch sein müssen. Die ersten praktischen Schritte bringen Klarheit darüber, ob die Propaganda nur Phrase oder wirklichkeitstüchtiger Wegweiser ist.
Wer mit uns darin übereinstimmt, daß die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft nur möglich ist, wenn die Macht des Kapitals gebrochen wird, kann nicht mehr der Frage ausweichen, wie diese Macht konkret zerstört werden kann. Das ist die entscheidende Frage. bleibt sie ohne Antwort, sind alle Anstrengungen vergeblich und eigentlich nur Betriebsamkeit zur Beruhigung des eigenen Gewissens.
Die politische Organisation des Proletariats, die kommunistische Partei, ist kein Selbstzweck. Die Revolution ist nicht vollbracht, wenn die Parteiorganisation steht. Niemand behauptet das. Und doch ist entgegen allen theoretischen Beteuerungen in der Vergangenheit die Organisation wiederholt zum Selbstzweck geworden, hat der Wunsch nach Schonung und Erhaltung der Partei, nach Wahrung ihrer Legalität in wichtigen Entscheidungssituationen zum Rückzug aus den vordersten Linien des Klassenkampfes geführt. Geschichtliche Erfahrung macht es notwendig, die Warnung Maos vor der Verfälschung der marxistischen Theorie zum Selbstzweck auch auf die Partei zu beziehen.
Ebenso wie die revolutionäre Theorie ist auch deren organisatorischer Ausdruck, die kommunistische Partei, in den Händen des Proletariats ein Pfeil. Der Pfeil ist aber nutzlos, wenn man ihn in den Fingern dreht und ein über das andere Mal verzückt ausruft: " Ein schöner Pfeil! Oh, welch ein schöner Pfeil!" und dabei versäumt, ihn auf den Feind, die Bourgeoisie, zu richten und ab zuschießen. Dieser Pfeil ist ein Werkzeug zur Veränderung der Gesellschaft. Eine Waffe zur Entmachtung des Kapitals. Das Werkzeugmuß seinem Zweck entsprechen. Die Waffe muß der Ausrüstung des Feindes gewachsen und überlegen sein. Bevor ein Werkzeugmacher darangeht, das rohe Eisen zu einem Instrument zu formen, muß er wissen,für welche Operationen es taugen soll. Nicht anders verhält es sich beim Aufbau einer revolutionären Partei. Wie können wir sie schaffen, wenn wir nicht wissen - jedenfalls in Umrissen und in einer ersten Näherung -, wie der konkrete revolutionäre Prozeß aussehen wird und wie er beeinflußt werden muß. Für einen nur-gewerkschaftlichen Kampf wird die Organisation eine andere sein müssen als für eine Partei, die durch legalen politischen Kampf die Parlamentsmehrheit erobern will. Liegt der Schwerpunkt des Kampfes bei illegalen Methoden, muß die Partei konspirativ, also gänzlich anders als eine offen auftretende organisiert werden. Besteht über den Inhalt und die Formen des revolutionären Kampfes keine Klarheit, geraten wir in die Gefahr, eine Parteiorganisation zu schaffen, die bestenfalls untauglich ist für die Führung der revolutionären Massen, die -was viel schlimmer wäre - aber auch zu einem Hindernis für die Bewegung werden kann.
Entsteht die Partei ohne theoretisches Bewußtsein ihrer Zwecke im revolutionären Prozeß, wird sich die so wachsende Organisation später eine " Theorie" auf den Leib schneidern, die allein ihren Möglichkeiten und Grenzen entspricht, die Bedürfnisse der revolutionären Bewegung aber unberücksichtigt läßt.
Die Klassenkämpfe der Vergangenheit haben die Entwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus vorangetrieben. Er ist zu einem festen Fundament der sozialistischen Weltrevolution geworden. Diese Theorie - soll sie ihre praktische Funktion erfüllen - muß jedoch in jeder neuen Phase des revolutionären Gesamtprozesses aufgrund der Erfahrungen und der veränderten Umstände weiterentwickelt werden. Sie würde lückenhaft und unbrauchbar, wenn veränderte zusammenhänge und die Resultate vergangener Kämpfe in die Analyse nicht einbezogen würden.
In der westdeutschen Gesellschaft haben sie gegenüber 1918, 1923 und 1933 Veränderungen ergeben; die Siege der Arbeiterklasse im internationalen Maßstab sowie die Niederlagen des deutschen Proletariats im nationalen Rahmen haben neue Einsichten in die gesellschaftlichen Bewegungsgesetze eröffnet. Das imperialistische Weltsystem hat sich an die durch den Sieg der russischen Oktoberrevolution grundlegend veränderte Situation angepaßt. Demgegenüber ist die revolutionäre Theorie, sind die Ansichten der westdeutschen Kommunisten über die konkreten Wege zur Errichtung der Diktatur des Proletariats zurückgeblieben.
Die deutschen Sozialdemokraten der I I. Internationale haben wenigstens versucht, sich konkret vorzustellen, wie der Weg zur Arbeitermacht aussehen müßte; wenngleich ihre Überlegungen heute auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem deutschen Faschismus unglaublich naiv erscheinen.
Anton Pannekoek hielt allen Ernstes die " Lahmlegung der Presse, Verbot von Versammlungen, Verhaftung der Kampfleitung . . . , Belagerungszustand und falsche Nachrichten" für die "äußersten Maßnahmen" der Bourgeoisie gegen den revolutionären Kampf des Proletariats. Auch die Vorstellungen Kautskys und Rosa Luxemburgs über die Möglichkeiten der Konterrevolution gingen über die Erfahrungen des Sozialistengesetzes nicht hinaus. Die Massenaktionen des russischen Proletariats von 1905 haben im übrigen dazu beigetragen, Illusionen über die Wirksamkeit von Massenstreiks in den Reihen der deutschen Sozialisten wild wuchern zu lassen; Illusionen, gegen die Lenin mehr als ein Jahrzehnt erbittert gekämpft hat.
Die russischen Revolutionäre - allen voran Lenin - haben schon 1901 -also 16 Jahre vor dem Sieg der proletarischen Revolution und noch vordem Aufbau der bolschewistischen Partei die Notwendigkeit dargelegt, den bewaffneten Aufstand systematisch und geduldig vorzubereiten und zu organisieren, insbesondere die Organisationsprinzipien der kommunistischen Partei dieser Aufgabe anzupassen. Lenin kam zu dem Schluß, daß das russische Proletariat "eine militärische Organisation von Agenten" brauche. Er meinte damit die Partei.
Seine organisatorischen Vorstellungen faßte Lenin in der Broschüre" Was tun?" wie folgt zusammen:

". . . der Aufstand ist doch im Grunde genommen die energischste und zweckmäßigste ' Antwort' des gesamten Volkes an die Regierung. Gerade eine solche Arbeit (die Schaffung und Verbreitung einer gesamtrussischen sozialistischen Zeitung) würde endlich alle revolutionären Organisationen an allen Ekken und Enden Rußlands dazu anhalten, ständige und gleichzeitig streng konspirative Verbindungen zu unterhalten (hervorgehoben vom Verf.), die die faktische Einheit (hervorgehoben von Lenin) der Partei schaffen - ohne diese Verbindungen aber ist es unmöglich, den Plan des Aufstandes kollektiv zu beraten und am Vorabend des Aufstandes die notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen, über die das strengste Geheimnis gewährt werden muß. Mit einem Wort, der ' Plan einer gesamtrussischen politischen Zeitung' ist nicht nur keine Frucht der Studierstubenarbeit von Personen, die von Doktrinarismus und Literatentum angesteckt sind (. . .), sondern ist im Gegenteil der praktische Plan, um von allen Seiten und unverzüglich mit der Vorbereitung des Aufstandes zu beginnen, ohne dabei auch nur für einen Augenblick die dringende Klassenarbeit zu vergessen."

Was hört man heute von westdeutschen Kommunisten über die konkreten Wege und Methoden der revolutionären Bewegung? Über die praktischen Zwecke der revolutionären Organisation? Bestenfalls nichts! - Manchmal faselt man aber auch von der" Iskra- Funktion" irgendeines der heute recht zahlreich entstehenden Blättchen und offenbare damit ein an Verstocktheit grenzendes Unverständnis für die leninschen Gedanken.
Der heute allenthalben zu vernehmende Aufruf an das Proletariat, sich zu organisieren, ist so alt wie das Kommunistische Manifest. Er kann aber die Lücke der revolutionären Theorie nicht hinweg täuschen. Diesem Aufruf einen zeitgemäßen, theoretisch ausgerichteten Inhalt zugeben, ist eine Aufgabe, die noch gelöst werden muß.
Es ist nicht wahr und ein verhängnisvoller Irrtum vieler Genossen,daß die revolutionäre Theorie für die gegenwärtigen Kämpfe in der westdeutschen Gesellschaft nur von einer nach bolschewistischen Prinzipien aufgebauten Kaderorganisation des Industrieproletariats entwickelt werden könnte. Als Thema mit Variationen hören wir immer wieder, daß das Proletariat nicht bevormundet werden dürfe. Das ist richtig. Aber was heißt das? Wir hören,daß die Studenten aufgrund ihrer anderen Klassenlage, insbesondere wegen der (klein)bürgerlichen Einflüsse, denen sie ausgesetzt seien, die revolutionäre Avantgarde nicht seien. Man sagt, daß es gegenwärtig darauf ankomme, das Proletariat in den Betrieben für die ersten Schritte zu organisieren und zu mobilisieren, um es so zu befähigen, innerbetriebliche Konflikte organisiert aufzugreifen und auszutragen. Dadurch sollen Lernprozesse vermittelt werden, deren Resultate es den Arbeitern angeblich ermöglichen, weitergehende Handlungsanleitungen für die Lösung der Machtfrage im gesamtgesellschaftlichen Maßstab zu erarbeiten. Die Vergötzung der Spontaneität feiert ihre Wiederauferstehung. Ideengeschichtlich handelt es sich um eine Neuauflage der Theorie von der " Taktik als Prozeß" (vgl. Lenin, Werke, Bd. 5 S. 228).
Wer die Lehren der Geschichte ignoriert, ist dazu verdammt, ihre Fehler zu wiederholen. In den vergangenen Jahrzehnten hat das Industrieproletariat in Deutschland "organisiert und massenhaft" derartige Konflikte aufgegriffen, politisiert und kämpferisch ausgetragen. Das Ergebnis war aber keineswegs eine brauchbare, eindeutige und einheitliche revolutionäre Theorie, sondern eine Vielfalt sich durchkreuzender politischer Tendenzen in der Arbeiterschaft.
Ein weiteres Ergebnis dieses Erfahrungsprozesses ist die dem Geschichtsbild des westdeutschen Proletariats tief eingeprägte Resignation, deren aggressive Variante der in den Köpfen der Arbeiter spukende Antikommunismus ist. Ist aus Resignation auch nur ein einziges Mal ein revolutionärer Gedanke gekrochen? In den Zeitungen finden wir täglich Meldungen über mehr revolutionäre Kampfe in mehr Ländern dieser Erde, in mehr Städten und mehr Dörfern, mehr Schüsse, mehr Bomben. Diese Meldungen signalisieren die steigende revolutionäre Flut. Wir finden aber kaum Meldungen darüber, daß irgendwo in der Welt das Industrieproletariat in vorderster Linie an diesen Kämpfen teilnimmt oder gar neue Theorien oder Organisationsformen hervorgebracht hat.
Der Kampf der spanischen Arbeiterkommission ist heldenhaft. Seine Perspektive ist aber lediglich die Wiederherstellung der bürgerlichen Republik. Die" Oppositionspolitiker" stehen schon bereit. In den USA verschärfen sich die Auseinandersetzungen. Die Aktionen der revolutionären Kräfte nehmen zu. Aber werden sie vom Industrieproletariat oder auch nur von Teilen desselben unterstützt oder gar angeführt? Bei fast 5 Millionen Arbeitslosen könnte man das vermuten. Fehlanzeige!
Ist es Zufall, daß an allen Fronten junge Angehörige der Intelligenzschicht insbesondere Studenten eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Rolle spielen? Diese Tatsachen wollen analysiert sein. Mit einer Mystifizierung der Industriearbeiterschaft ist Proletariat am wenigsten geholfen. Das haben Engels und Lenin mit der Feststellung sagen wollen,daß Träger des revolutionären Bewußtseins zwar das Industrieproletariat sei, dieses aber aus sich heraus und auf sich allein gestellt nur ein "tradeunionistisches", ein nur-gewerkschaftliches Bewußtsein entwickeln könne? Wie haben wir den Hinweis im Kommuniquè des 11. Plenums des V I I I. Zentralkomitees der KP Chinas vom 12. 8. 1966 zu verstehen, daß die arbeitenden Massen erstmals nach der Massenkampagne zum Studium der Werke Mao Tse-tungs den Marxismus- Leninismus unmittelbar beherrschen und anwenden, also erst nach der Revolution?
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus den Gesetzmäßigkeiten des Erkenntnis- und Theoriebildungsprozesses in der Klassengesellschaft. Wie entsteht richtige Erkenntnis, wie bildet sie eine wissenschaftliche Theorie? Wie wirkt sich die Klassenlage des Proletariats in diesem Prozeß aus?
In seiner praktischen Tätigkeit erfährt der Mensch sinnliche Eindrücke der gegenständlichen und sozialen Umwelt (sinnliche Erfahrung). Die ständige Wiederholung gewisser Eindrücke und deren Verknüpfung vermitteln - ebenfalls noch auf sinnlicher Ebene - das Erlebnis von Ursache und Wirkung. Auf der Grundlage dieser sinnlichen Erfahrung entstehen im Laufe der Zeit gedankliche Kategorien, die die in der Natur und Gesellschaft vorhandenen, aber den Sinnesorganen nicht unmittelbar zugänglichen Beziehungen der objektiven Umwelt widerspiegeln. Im menschlichen Denken entwickelt sich die Fähigkeit zur Abstraktion und zu rationalen, von unmittelbar-sinnlichen Vorstellungsinhalten abgelösten Schlußfolgerungen, deren Endglieder ( Ergebnisse) in der praktischen Tätigkeit überprüft und erforderlichenfalls verworfen oder korrigiert werden.
In diesem Prozeß nimmt jede Generation den Erkenntnis- und Erfahrungsschatz der vorangegangenen in ihr Weltbild auf und entwickelt es auf dieser Grundlage weiter. Um zu neuen, gültigen Ergebnissen zu kommen,muß jede folgende Generation mehr Erfahrungen und Resultate vorläufiger Abstraktionen in ihren Erkenntnisprozeß einbeziehen. Für die Klassenlage des Proletariats im Kapitalismus ist es aber kennzeichnend, daß es im Laufe seiner Anpassung an seine ökonomische Funktion im Produktionsbereich auch nicht annähernd das Erfahrungswissen und den Grad von Abstraktionsfähigkeit vermittelt bekommt, die notwendig sind, um aus den im gesellschaftlichen Bereich gesammelten sinnlichen Erfahrungen richtige Schlußfolgerungen ziehen zu können, die auf der Höhe ihrer Zeit sind und nicht mehr oder weniger modifizierte, längst überholte Vorstellungsinhalte vergangener Perioden wiederholen. Dieser in der Klassenlage begründete Widerspruch kann erst mit der Lösung des Klassenwiderspruchs zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben werden.
Eine zeitgemäße revolutionäre Theorie kann daher nur von denen entwickelt werden, die aufgrund ihrer objektiven Klassenlage die Möglichkeit haben, die Erfahrungen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse der Vergangenheit verstehend in ihre Überlegungen einzubeziehen und die über das Abstraktionsvermögen verfügen, das es ihnen ermöglicht, die in den Klassenkämpfen der Gegenwart gesammelten Erfahrungen auf dem historischen Hintergrund unseres Erkenntnisstandes zu analysieren, zu interpretieren und zu verallgemeinern.
Es ist also kein Zufall, daß die entscheidenden Stationen der Entwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus von Denkern und Revolutionären markiert werden, die nach ihrer Herkunft nicht dem Proletariat zuzurechnen sind, die aber gerade deshalb die Voraussetzungen für weiterführende theoretische Arbeiten mitbrachten: Marx und Engels in der Periode der ersten industriellen Revolution und der Entstehung der organisierter Industriearbeiterbewegung; Lenin in der Periode des ersten imperialistischen Weltkrieges und der Entstehung einer revolutionären Situation in Rußland durch den Verschleiß des absolutistischen Machtpotentials des Zarismus in kolonialen Raubkriegen und schließlich in einem Weltkrieg; Mao Tse-tung in der Periode, die durch den Sieg der Oktoberrevolution und den zweiten imperialistischen Weltkrieg gekennzeichnet ist.
Eine wesentliche Bedingung für die Verallgemeinerung der revolutionären Theorie bestand in ihrer Übereinstimmung mit den Erfahrungen der revolutionären Klassen, die, gestützt auf diese Theorie, in ihren Kämpfen gegen Feudalismus, Absolutismus und Kapitalismus eine Reihe von Erfolgen erringen konnten.

Lediglich um die Übereinstimmung geschichtlicher Erfahrungen zu dokumentieren, seien die Ausführungen Lenins zu dieser Frage auszugsweise wiedergegeben:

" Die Geschichte aller Länder zeugt davon, daß die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft nur ein trade-unionistisches Bewußtsein hervorzubringen vermag, d. h. die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen die Unternehmer zu führen,der Regierung diese oder Jene für die Arbeiter notwendigen Gesetze abzutrotzen uam. Die Lehre des Sozialismus ist hingegen aus den philosophischen, historischen und ökonomischen Theorien hervorgegangen,die von den gebildeten Vertretern der besitzenden Klassen, der Intelligenz,ausgearbeitet wurden. Auch die Begründer des modernen wissenschaftlichen Sozialismus, Marx und Engels, gehörten ihrer sozialen Stellung nach der bürgerlichen Intelligenz an. Ebenso entstand auch in Rußland die theoretische Lehre der Sozialdemokratie unabhängig von dem spontanen Anwachsen der Arbeiterbewegung, entstand als natürliches und unvermeidliches Ergebnis der ideologischen Entwicklung der revolutionären sozialistischen Intelligenz . . ." ( Hervorhebungen von uns)

Es spricht nichts für die Annahme, daß sich in diesem Verhältnis zwischen proletarischem Bewußtsein und revolutionärer Theorienbildung eine qualitative Veränderung vollzogen hat. Ein Unterschied besteht allerdings darin, daß sich die Klassenlage eines erheblichen Teiles der Intelligenz, insbesondere der Studentenschaft fortschreitend wandelt. War es zur Zeit Marxens und Lenins so,daß sich die Intelligenz sowohl aufgrund ihrer Herkunft als auch aufgrund ihrer Stellung im gesellschaftlichen Produktionsprozeß, also durch ihre objektive Klassenlage als Schicht mit den Interessen der Ausbeuterklassen identifizierte und lediglich einzelne Individuen dieser Schicht sich auf die Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten schlugen,so nehmen Teile der Intelligenz heute weniger aufgrund ihrer Herkunft, als vielmehr durch ihre Funktion im Produktionsprozeß eine Zwischenstellung ein, die das Bewußtsein der jungen Intelligenz ebenso prägt wie die Tatsache, daß ihre Herkunftsschicht in weitaus stärkerem Maße von Deklassierung bedroht oder bereits betroffen ist als früher.
Diese Faktoren bewirken eine gesteigerte Sensibilität für Herrschaftsstrukturen allgemein und im bürgerlichen Ausbildungs- und Qualifikationsprozeß im besonderen. Diese Änderung der Klassenlage begünstigt die Aufnahme des wissenschaftlichen Sozialismus in breiten Schichten der Studentenschaft, die sich dieser Theorie bedienen, um ihr eigenes Klasseninteresse, das ein antikapitalistisches ist, zu ergründen und gegen die Herrschenden durchzufechten.
Die rebellischen Studenten werden in diesem Prozeß Teil der antikapitalistischen sozialrevolutionären Bewegung der Gegenwart. Durch verschiedene Faktoren ist den sozialistischen Kadern der Studentenbewegung eine Avantgarde- Funktion im gesamtgesellschaftlichen Maßstab zugefallen. In der Studentenbewegung sind heute die Ziele und Methoden der revolutionären Bewegung theoretisch am klarsten formuliert und wissenschaftlich begründet. Nicht die Organisationen der Industriearbeiterschaft sondern die revolutionären Ziele der Studentenschaft sind heute Träger des zeitgenössischen revolutionären Bewußtseins.
Die Studenten haben vor Jahren den Kampf aufgenommen und durch ihre Aktionen jedenfalls in Westdeutschland und in den USA die revolutionär-sozialistische Bewegung erst wiederbelebt. Im Verlaufe ihres Kampfes haben sie Erfahrungen gesammelt, theoretisch untersucht und verallgemeinert. Die revolutionäre Theorie ist in diesem Prozeß umwichtige Aspekte bereichert worden, die praktisch-theoretische Auseinandersetzung mit dem Revisionismus der traditionellen kommunistischen Parteien und mit dem Sozialdemokratismus ist ein wichtiger Beitrag. Die revolutionären Studenten sind Teil der Massen, auf die sich eine revolutionäre Partei stützen muß.
Das Gebot, in allem der Massenlinie zu folgen, heißt also auch, in die Massen der revolutionären Studenten gehen, deren Auffassungen kennenlernen, sorgfältig analysieren, zusammenfassen, verallgemeinern falsche Ansichten kritisieren, richtige hervorheben und in verallgemeinerter Form in die Massen zurücktragen. Die Kader müssen die Auffassungen studieren, die sich aus den Erfahrungen der vergangenen drei Jahre bei den revolutionären Studenten über den Charakter der Staatsgewalt,über die Rolle der revolutionären Gegengewalt, über die Bedingtheit der Gewalttätigkeit der unterdrückten Massen, über das Kräfteverhältnis zwischen Revolution und Konterrevolution und die Bedingungen seiner Veränderung entwickelt haben.
Dieses Studium und die daraus zu gewinnende Verallgemeinerung ist ein wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung der revolutionären Theorie.
Der Massenlinie folgen, heißt aber auch, die Auffassungen der werktätigen Bevölkerung kennenlernen, studieren, kritisieren verallgemeinern und in die Massen zurücktragen. Bei diesem Studium ist aber zu beachten, daß sich das proletarische Klassenbewußtsein durch die Einflüsse der bürgerlichen Ideologie und unter dem Eindruck der erlittenen Niederlagen in vielfältig gebrochener, verdeckter und verzerrter Spiegelung der objektiven Klassenlage vorfindet. Bevor eine kritische Verallgemeinerung möglich ist, sind die durch die feindliche Ideologie verursachten Verzerrungen zu beseitigen; denn revolutionäres Handeln entwickelt sich nur auf der Grundlage einer richtigen Widerspiegelung der Klassenlage. Vertrauen in die Massen setzen, heißt nicht, über die Deformationen des proletarischen Klassenbewußtseins hinwegsehen, heißt nicht, alle politischen Äußerungen der Massen - mögen diese auch oppositionell sein - nachbeten, heißt nicht, von den Massen ein Bild zeichnen, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Vertrauen in die Massen setzen, heißt, auch in der scheinbar gegen die revolutionären Elemente gerichteten Einstellung der Massen, im deformierten Klassenbewußtsein die nur verschütteten revolutionären Energien entdecken und freilegen. Denn diese Energien der Massen können die Revolution zum Sieg treiben.
In der überall vorhandenen offenen oder verdeckten Aggressivität entdecken wir so die vorhandene, lediglich deformierte Abwehrreaktion der Massen gegen die Unterdrückung, unter der die leiden. Die ständig wiederholte öffentliche und versteckte Billigung der Gewaltanwendung gegen vermeintliche innere und äußere Feinde, die Forderung nach solcher Gewaltanwendung gegen die vermeintlichen Verursachen allgemein empfundener Bedrohung und Unsicherheit, sind ein Ausdruck des im Kern richtigen Bewußtseins, daß in der Klassenauseinandersetzung die Gewalt über die Durchsetzung der Klasseninteressen entscheidet.
Die Massen sind von der bürgerlichen Morallehre keineswegs so angekränkelt, daß sie in der Gewalt als Mittel sozialer Auseinandersetzungen ein ethisches Problem sehen. im Gegenteil: sie sind viel eher als ein bürgerlich erzogenes Individuum bereit, zur Durchsetzung ihrer Interessen selbst Gewalt anzuwenden. Wenn sie sich gleichwohl zuweilen recht drastisch - gegen Gewaltakte revolutionärer Gruppen wenden, so nicht deshalb, weil sie gegen Gewalt sind, sondern allein deshalb, weil sie emotional gegen diese revolutionären Gruppen eingestimmt sind.
Die dem Klasseninteresse entsprechende richtige Richtung dieser positiven Einstellung zur Gewalt kommt in den in Tagträumen und Stammtisch prahlereien den " Vorgesetzten" als Symbolfiguren der Unterdrückung zugedachten Schicksalen zum Ausdruck. Daß die Neigung, dem " Meister", " Abteilungsleiter" oder "Chef" einfach "eine zu pellen" und ihn davon zu jagen nicht am eigentlichen Angriffsobjekt realisiert wird, sondern auf - notorisch schwächere - Ersatzfiguren, auf rassische Minderheiten oder politisch verketzerte Gruppen abgelenkt wird, ist nur zum Teil auf die Einflüsse der feindlichen Ideologie, zum anderen Teil auf die Erfahrung des Proletariats zurückzuführen, daß es durch Gewaltanwendung inden traditionellen Formen des Klassenkampfes den Feind mit überwinden konnte, dagegen stets seinen sozialen Besitzstand aufs Spiel setzt und häufig verliert. Diese resignative, zur Verdrängung führende Haltung großer Teile des Proletariats ist Bestandteil des proletarischen Klassenbewußtseins. Sie muß im Zusammenhang mit den Erfahrungen vergangener und gegenwärtiger Klassenauseinandersetzungen begriffen werden. Es handelt sich dabei um den für die weitere revolutionäre Entwicklung wichtigsten Widerspruch im Bewußtsein der Massen, den die revolutionäre Partei durch eine von einer richtigen Theorie geleitete revolutionäre Praxis lösen muß.
Die kritische Verallgemeinerung dieser in den Massen anzutreffenden Auffassungen und Stimmungen besteht darin, die Massen in ihrer positiven Einstellung zur Gewalt als Mittel des Klassenkampfes zu bestärken, jede Abwiegelei streng zu verurteilen und gleichzeitig die Mittel und Wege aufzuzeigen, die in der unvermeidlichen gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Proletariat und Bourgeoisie ersterem den Sieg über das Kapital ermöglichen.
Ohne diese Perspektive ist es nicht möglich, das im Proletariat vorhandene Gewaltpotential für die Revolution zu mobilisieren.

4. Revolutionäre Avantgarde und proletarische Klasse

Das Abwarten, bis die Industriearbeiter organisiert in den revolutionären Kampf eingreifen, ist sicher das untauglichste Mittel zur Einbeziehung heute noch passiver Schichten in den revolutionären Prozeß. Angesichts der aktiven und gegenwärtig noch bestimmenden Teilnahme der Studenten an der antikapitalistischen Bewegung ist es absurd und Ausdruck eines mystifizierten Klassenbegriffs, wenn Genossen den studentischen Kadern die " Zuständigkeit" für die Weiterentwicklung der sozialistischen Theorie streitig machen.
Die Losung, das Proletariat solle in allem die Führung innehaben, wird in der Praxis zu einer Karikatur, wenn man sie als Gebot an beliebige gesellschaftliche Gruppen versteht, sich der Führung und der Initiative des Proletariats unterzuordnen, statt in ihr allein einen Appell an das Proletariat zu sehen, seiner historischen Rolle als Totengräber des Kapitalismus gerecht zu werden, seine eigene revolutionäre Praxis auf das Niveau zu heben, das ihm die führende Stellung in der Revolution sichert. Die totale Verkehrung des Aufforderungscharakters erfährt diese Losung, wenn der Begriff des Proletariats auch noch auf die industrielle Arbeiterschicht eingeschränkt wird.
Die Notwendigkeit der proletarischen Führung beruht darauf, daß allein das Proletariat aufgrund seiner objektiven Klassenlage ein konsequentes Interesse an der Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, an der Überwindung des kapitalistischen Systems schlechthin in die Geschichte einbringt. Das Proletariat in diesem Sinne umfaßt aber alle Schichten, die nicht nur vorübergehend von jeglichem Kapitaleigentum getrennt sind und deren Reproduktion durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft vermittelt ist. Das Industrieproletariat ist nur ein Teil dieser Klasse. Wo und wann immer Elemente derselben in den revolutionären Kampf eintreten, werden sie Teil der revolutionären Bewegung des Proletariats.
Die Geschäfte des Klassenfeindes besorgt derjenige, der im Namen eines abstrakten Klassenschematismus die bereits mobilisierten und kämpfenden Teile des antikapitalistischen Lagers behindert, zurück zerrt, diffamiert oder auch nur schlicht ignoriert mit der Begründung, es könne sich nur um Anarchisten, blanquistische Abenteurer und wild gewordene Kleinbürger handeln, weil das industrielle Proletariat noch nicht mobilisiert und die aus diesem zu bildende Avantgarde noch nicht vorhanden sei.
In dieser Position drückt sich eine falsche Auffassung in der Führungsfrage aus. Sie schließt wichtige revolutionäre Kräfte aus, statt sie zu umfassen. Führung wird zum Privileg einer bestimmten Schicht, zur Funktion einer Elite. Proletarische Führung kann aber nur in der Avantgarde- Funktion realisiert werden. Die Avantgarde hemmt nicht die Initiative der Massen, sondern entwickelt sie. Die Führung besteht in der beispielhaften Aktion, die durch ihre Verallgemeinerung nie Avantgarde ständig aufhebt. Diese Verallgemeinerung kann weder positiv noch negativ dekretiert werden. Sie ist das Resultat ständiger Überprüfung in den Massenkämpfen.
Avantgarde ist danach nicht die Gruppe, die sich so nennt oder sich selbst so interpretiert, sondern diejenige, an deren Verhalten und Aktionen sich die revolutionären Massen orientieren. Die Führung im revolutionären Prozeß durch eine Avantgarde ist ein wesentliches revolutionäres Moment.
Die Zuordnung dieser Funktion ist aber nicht statisch, nicht erblich und keine Frage vergangener Verdienste oder des proletarischen Stammbaums. Sie kann sich ständig ändern. Eine Gruppierung, die heute die Funktion einen Avantgarde erfüllt, kann morgen schon Nachtrab der Bewegung sein. Daraus folgt auch, daß die Bestimmung der Avantgarde nicht danach vorgenommen werden kann, ob ein bestimmtes Organisations- und Aktionsschema von einer traditionell proletarischen Schicht entwickelt und in die Bewegung eingebracht wird. Die Fragestellung kann nur lauten: Ist das Handeln einer politischen Gruppierung revolutionär-sozialistisch, hat dieses Handeln beispielhafte Wirkung für die revolutionären Massen, bringt es die Bewegung voran oder nicht?
Wenn wir die Rolle der studentischen Kader als Avantgarde in den Kämpfender vergangenen Jahre anerkennen, so bedeutet das keine moralische Überhöhung der Studenten. Es bleibt eine Tatsache, daß in der Studentenschaft (klein)bürgerliche Einflüsse in schädlicher Weise wirksam sind. Aber auch das darf kein moralisches Urteil über die Studenten sein. Kleinbürgerliche Einflüsse sind für die revolutionäre Bewegung eine Gefahr, die man stets beachten muß. Wo kleinbürgerliche Haltungen sichtbar werden, sind sie Gegenstand von Kritik und Selbstkritik. Aber hier gilt der Satz von Mao: " Die Krankheit heilen, um den Patienten zu retten."
Genau in diesem Sinne haben Lenin und Mao Tse-tung ihr Mißtrauen gegen die Intellektuellen gehandhabt. Beiden ging es nicht um eine moralische Verdammung der Intelligenz. Sie wußten stets zwischen der revolutionären und der kleinbürgerlichen-radikalen Intelligenz zu unterscheiden. Beide hatten erkannt, daß die revolutionäre Intelligenz für die Bewegung unentbehrlich ist. Es ist keineswegs zufällig und für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen gleichgültig, daß sich die Bolschewiki gegen den Vorwurf des" Intelligenzlertums" verteidigen und durchsetzen mußten. Lenin hat die reformistischen Wurzeln der Theorie von der "reinen Arbeiterbewegung" aufgedeckt:

"( Wir) können bei der ersten literarischen Äußerung des Ökonomismus die höchst eigentümliche und für das Verständnis aller Meinungsverschiedenheiten unter den heutigen Sozialdemokraten äußerst charakteristische Erscheinung beobachten, daß die Anhänger der 'reinen Arbeiterbewegung',die Anbeter der engsten und [. . .] 'organischsten' Verbindung mit dem proletarischen Kampf, die Gegner jeder nicht proletarischen Intelligenz(selbst wenn es sich um die sozialistische Intelligenz handelt) gezwungen sind, bei der Verteidigung ihrer Position zu den Argumenten der bürgerlichen 'Nur- Gewerkschaftler' Zuflucht zunehmen."

Gegenwärtig sind die organisatorischen Ansätze noch zu wenig entwickelt, die Praxis noch zu uneinheitlich und literarische Äußerungen noch zu spärlich, um eindeutig eine"neo-ökonomistische" Tendenz diagnostizieren zu können. Die Gefahr sollte Jedoch rechtzeitig erkannt werden. ( Der Reformismus hat sich in seiner jeweiligen Entstehungsphase stets hinter einem Nebelvorhang radikaler Phrasen entwickelt!)
Sozialistische Intellektuelle, die kleinbürgerlichen Verhältnissen entstammen, haben an ihrer ideologischen Nachgeburt sicher schwer zu tragen,aber viele sind mit diesem Erbe - wie es scheint - besser fertig geworden, als mancher Proletarier von Geburt mit den Einflüssen der feindlichen Ideologie. Daraus darf kein Vorwurf gegen das Proletariat hergeleitet werden. Doch müssen nicht wenige romantische Vorstellungen über den" Proletarier" korrigiert werden.
Die Revolutionäre, deren Pflicht es ist, die Revolution zu machen, werden nicht "lupenrein" in der Retorte erzeugt; auch die proletarische Kinderstube ist diese Retorte nicht. Sie rekrutieren sich aus einer Generation, die notwendig durch den Anpassungsprozeß an die bürgerliche Gesellschaft mannigfaltig deformiert und den Einflüssen der bürgerlichen Ideologie ausgesetzt ist. Wer die Klassenanalyse bemüht, um nachzuweisen, daß die Studentenbewegung gar nicht revolutionär sei, statt endlich zu begreifen,aus welchen Gründen die junge Intelligenz die von den Arbeitern fallengelassene rote Fahne aufgenommen hat und sie heute allen voranträgt; wer die Klassenanalyse bemüht, um seine Untätigkeit oder seinen Kleinmut zu rechtfertigen und angesichts einer voranschreitenden Revolution zu behaupten, es gäbe keine revolutionäre Bewegung und keine Revolutionäre, der treibt mit dem Marxismus Schindluder.
Die Klassenanalyse ist ein parteiliches Instrument in der Hand von Revolutionären, die durch eine konkrete Untersuchung der Klassenlage herauszufinden haben, welche Schichten gegenwärtig oder voraussichtlich demnächst für den revolutionären Kampf gewonnen werden können und durch ihren Beitrag das Kräfteverhältnis zugunsten der Revolution verändern werden, beziehungsweise welche Schichten mit welcher Politik neutralisiert werden können. Sie ist ein wesentlicher Teil der revolutionären Theorie. In der Epoche der sich entfaltenden sozialistischen Weltrevolution ist Gegenstand dieser Theorie nicht das"ob", sondern nur das "wie" der Revolution.
In den USA hat die Revolution in den Ghettos der rassischen und nationalen Minderheiten begonnen. Sie ist nicht aus der Analyse sozialistischer Theoretiker entstanden, sondern in der revolutionären Gewalttat der Massen in den Ghettos geboren worden. Die Afro- Amerikaner und ihre Verbündeten haben vorher nicht das Kräfteverhältnis der Klassen gewogen und die Divisionen der Konterrevolution gezählt. Sie haben ihre Chancen nicht kalkuliert. Sie haben nur einen Augenblick von sich selbst abgelassen und ihre Gewalttätigkeit gegen ihre Unterdrücker gekehrt. In den Straßen von Watts haben sie das Feuer der Revolution entzündet, das bis zu ihrem endgültigen Sieg nicht ausgehen wird. Erst Jetzt ist der Weg frei für die Konkretisierung der revolutionären Theorie, die nichts gemein hat mit dem Soziologengewäsch von der Aussichtslosigkeit einer" Minderheitenrevolte" usw.
Die revolutionäre Situation entsteht nicht erst, wenn sie auch die Soziologen erkennen. Sie kündigt sich an in der Richtungsänderung der Gewalttätigkeit. Sie ist vorhanden, wenn die durch die Unterdrückung in den Unterdrückten erzeugte Gewalttätigkeit,der gewaltsame Widerstand gegen das Ausbeutungssystem, gegen die Gewalt der Herrschenden die Fesseln einer individuellen Abreaktion abschüttelt und kollektive Züge annimmt. Der kollektive Widerstand ist der Keim der Revolution. Die richtige revolutionäre Theorie hat ihn zu entwickeln und zu formen. Die Pflicht jedes Revolutionärs ist es, jeden Ansatz zum kollektiven Widerstand in den Massen aufzugreifen, weiter zu entwickeln, zu organisieren und zu führen,auch ohne Aussicht auf den Sieg.

Das Gegenteil von revolutionärem Verhalten ist die Befriedung, die feige Abwiegelei, die Vertagung des Widerstandes auf die Zeit "nach dem Aufbau der Massenorganisation und der Schulung". Aus dem kleinsten Funken kann ein Brand entstehen. Mao Tse-tung hat die Revolution nicht"vertagt", bis er durch seine Untersuchungen im chinesischen Dorf erforscht hatte, welche Perspektiven der Bauernaufstand eröffne, und bis er die chinesische KP auf der Grundlage dieses Befundes organisiert hatte. Seine Linie hätte sich so wohl nie durchgesetzt.
Gegen alle bisherigen theoretischen Konzepte hat er sich auf die Seite der revolutionären Bauern gestellt, die Führung von Banditenhaufen übernommen und den kollektiven Widerstand gegen die Staatsgewalt und die Grundherren organisiert. Als Teilnehmer an diesem Kampf hat er durch seine Untersuchungen die Wege der Revolution erkannt und eine wissenschaftliche Handlungsanleitung erarbeitet, ohne auch nur einen Augenblick die Revolution, ihre Machbarkeit, in Zweifel zu ziehen. In einer scheinbar aussichtslosen Lage hat er sich gegen die Parteiführung gestellt und schließlich allein Recht behalten.
Zuallererst ist es der Wille an die Revolution, der Revolutionäre macht. Wo dieser Wille fehlt, wo keine Vision vom Sieg der Unterdrückten über ihre Feinde vorhanden ist, hat die Beschäftigung mit dem Marxismus- Leninismus noch immer zum Revisionismus und Opportunismus geführt und ist im "methodischen Zweifel", also im Zweifel an den Massen geendet.

" Der Marxismus enthält zwei wesentliche Elemente: das Element der Analyse, der Kritik, und das Element des tätigen Willens der Arbeiterklasse als den revolutionären Faktor. Und wer nur die Analyse,die Kritik in die Tat umsetzt, vertritt nicht den Marxismus, sondern eine erbärmliche, verfaulende Parodie dieser Lehre."

Wir müssen uns in erster Linie auf diejenigen Massen stützen,die die Fahne der Revolution bereits aufgenommen haben. Ihr Kampf wird, wenn er richtig geführt wird, die heute noch abseits stehenden Schichten des Proletariats mobilisieren und mitreißen. Im Verlaufe dieses Prozesses wird die Industriearbeiterschaft, die konsequenteste und zuverlässigste revolutionäre Kraft, die Führung übernehmen und die sozialistische Revolution bis zum Ende garantieren.
Einen anderen Weg gibt es nicht. Wir lassen uns von den "weisen Alten", den Soziologen, gern die "närrischen Greise"nennen. Am Ende werden nicht sie, sondern wir gemeinsam mit den Massen die Berge versetzt haben.

" Diese Berge sind zwar hoch, sie können aber nicht mehr höher werden; um das, was wir abtragen, werden sie niedriger."
( Mao)

5. Stadtguerilla als revolutionäre Interventionsmethode in den Metropolen

Abzutragen ist der Berg der militärischen Potenz des bürgerlichen Staates. Wir können nicht erwarten, daß sich diese Potenz in einem internationalen Krieg, der ein Weltkrieg wäre, verschleißt. Ein solcher Krieg würde in Mitteleuropa nicht nur die Armeen des Klassenfeindes, sondern auch die proletarische Bevölkerung vernichten. Eine Revolution stünde nicht mehr zur Debatte. Ein solcher Krieg muß mit allen Mitteln verhindert werden. Er ist nur durch eine Revolution zu verhindern.
Ist die Ausschaltung des bürgerlichen Militärapparates durch einen internationalen Krieg nicht zu erwarten und durch einen allgemeinen Aufstand der herkömmlichen Art nicht zu erreichen, so müssen sich die Überlegungen auf jene Kampfformen und Taktiken richten, die eine allmähliche Auszehrung der Kräfte des Feindes im Sinne eines moralischen Verschleißes und gleichzeitig die Entwicklung der eigenen militärischen Potenzen des Proletariats möglich erscheinen lassen: auf die Kampfform des Guerilla- Krieges.
Die ländliche Guerilla scheidet für die Betrachtung aus. Zu untersuchen sind die Probleme der Großstadtguerilla.
Wichtigstes Prinzip des Guerilla- Krieges ist, daß die kämpfenden Einheiten vom Volke unterstützt werden, "im Volke untertauchen und in ihm schwimmen können wie der Fisch im Wasser". Die politische und militärische Kraft der Guerilla entsteht aus den revolutionären Energien der Volksmassen.
Diese von Mao Tse-tung zuerst formulierten Einsichten werden hierzulande allgemein in der Weise interpretiert, daß man auf die offenkundige ablehnende Haltung der ganz überwiegenden Mehrheit des Proletariats gegenüber dem Partisanenkrieg hinweist und daraus schließt,daß die wichtigste Voraussetzung für die Entfaltung des bewaffneten Kampfes noch nicht gegeben sei. Statt die Bedeutung des Prinzips konkret zu untersuchen, wird es absolut gesetzt und das Ergebnis vor die Untersuchung gestellt.
Die Lehre Mao Tse-tungs vom bewaffneten Kampf ist nicht eine Theorie, die uns aus der Verpflichtung, diesen Kampf vorzubereiten und zu beginnen,entläßt, sondern eine Anleitung, die so konkret ist,daß sie bei der gegebenen Reife der kapitalistischen Gesellschaftsformation überall und unter allen Umständen, unter denen sich die Klassenkämpfe zuspitzen, den Weg des bewaffneten Kampfes sichtbar werden läßt.
Die Verankerung der Guerilla im Volke hat einen politischen und einen militärischen Aspekt, die zwar nur zwei verschiedene Seiten einer Einheit sind, die jedoch zunächst eine differenzierende Untersuchung notwendig machen. Der militärische Gegner der Partisaneneinheit sind Polizei und Armee. Die Partisaneneinheit ist dagegen eine verschwindende Größe. Sie kann nur überleben,wenn sie für den Feind unsichtbar bleibt.
Ist sie eine ländliche Guerilla, muß sie sich in entlegenen, schwer zugänglichen Gegenden verstecken oder nach einem Schlag gegen den Feind sofort untertauchen und als Teil der ländlichen Bevölkerung erscheinen. In beiden Fällen ist ihre Versorgung nur durch die Bevölkerung zu sichern, Teile derselben müssen in Kenntnis der Umstände zu Hilfsdiensten bereit sein. Eine noch weitergehende Unterstützung ist für das Untertauchen in der ländlichen Bevölkerung notwendig.
Anders ist es in der Großstadt. Sie bietet alle erforderlichen Versorgungsgüter in einer Weise an, die es nicht erforderlich macht,daß die Partisaneneinheiten aus ihrer Anonymität hervortreten. Sie können auch nach ihren Aktionen in vorbereiteten Quartieren untertauchen,ohne auf Hilfe aus der Bevölkerung angewiesen zu sein. Ihre Bewegung in den Straßen der Großstadt ist bei geeigneten Vorkehrungen unauffällig und von dem Verkehrsstrom der übrigen Bevölkerung nicht zu unterscheiden. Die großstädtische Anonymität ist ein bestimmendes Element für die Stadtguerilla. Konspirative Kontakte zu Informanten, Sympathisanten und Partisanen mit besonderen Aufgaben in den Institutionen des Feindes lassen sich in einer Großstadt leichter knüpfen und aufrechterhalten als in anderen Gebieten. Sie sind von der Haltung der nicht unmittelbar beteiligten Bevölkerung weitgehend unabhängig.
Ein entscheidender Vorteil der Großstadt besteht auch darin, daß Operations- und Stützpunktgebiet eine Einheit bilden. Informationen sind leichter und ungefährlicher zu beschaffen. Die Großstadt ist zugleich eine Massierung von Angriffszielen. Kann eine ländliche Guerilla immer nur einzelne Punkte bedrohen, liegt in der Großstadt die ganze Flanke des Feindes offen. Dieser weiß nie, welches Objekt angegriffen wird. Da innerhalb der Stadt alle Objekte für die Partisanen erreichbar sind, muß der Feind alle schützen. Sein Bestreben, gleichzeitig überall zu sein, führt dazu, daß er nirgends stark genug ist. Wenige Kämpfer können starke Kräfte des Feindes binden.
Durch geeignete Aktionen muß die Guerilla klarstellen, daß sich ihre Angriffe grundsätzlich gegen alle Institutionen des Klassenfeindes, alle Verwaltungsdienststellen und Polizeiposten, gegen die Direktionszentren der Konzerne, aber auch gegen alle Funktionsträger dieser Institutionen, gegen leitende Beamte, Richter, Direktoren usw. richten,daß der Krieg in die Wohnviertel der Herrschenden getragen wird. Der Feind wird so gezwungen, seine Kräfte entlang dieser unsichtbaren Front im wahrsten Sinne des Wortes zu zersplittern, während die Guerilla taktisch stets nur an einzelnen, speziell ausgesuchten Punkten dieser langen Kampflinie angreift, dort ihre Kräfte konzentriert und dem Feind überlegen sein kann. Sie nutzt das Überraschungsmoment und bestimmt Ort und Zeit der Operationen.
Die operativen Möglichkeiten des Feindes dagegen sind in einer Großstadt seines eigenen Gebietes stark eingeschränkt. Die Bürgerkriegsgenerale werden einen Elefanten durch die Straßen treiben, um eine Mücke zu jagen. Die technischen Apparaturen, die die Macht der Konterrevolution so furchtbar erscheinen lassen, werden teilweise gar nicht einsetzbar sein, ja sie werden die Beweglichkeit des Feindes, seine Schnelligkeit und Einsatzfähigkeit behindern.
In einer entlegenen ländlichen Zone sind im Operationsgebiet nur wenige Menschen. Der Kreis der Verdächtigen ist überschaubar, Razzien sind gezielter durchführbar. Im Zweifel zögern die Repressionstruppen nicht, verdächtige Dörfer durch Bombardements und Aussiedlungsaktionen auszuschalten.
In der Großstadt ist die Kampfeinheit nur schwer auszumachen. Razzien sind nur selten erfolgreich und haben wohl mehr den Zweck, der Bevölkerung die Präsenz der Staatsgewalt zu demonstrieren. Bombardements sind kaum denkbar, für den Gegner völlig nutzlos. Können von Partisanen durchsetzte ländliche Zonen von der Konterrevolution praktisch zum feindlichen Territorium erklärt und entsprechend behandelt werden, so ist das in der Großstädten, in denen auch die Charaktermasken des Kapitals und seines Herrschaftsapparates leben, nicht möglich. Er folge der Polizei und des Militärs sind nur durch Zufall, Verrat, taktische Fehler oder durch Überwältigung einzelner Kommandos während einer Operation selbst möglich.
Es ist schon keine Spekulation mehr, daß die Bildung von bewaffneten Kommandos in Großstädten jederzeit möglich ist. Deren Entstehung ist jedoch nur der Anfang eines Prozesses, für dessen weitere Entwicklung noch zahlreiche andere Bedingungen gegeben sein müssen, die primär politischen Charakter haben. Die wichtigste ist die Verbindung der Guerilla mit den politischen und ökonomischen Kämpfen der Massen. Nur wenn diese Verbindung zum wesentlichen Kern der Strategie des Partisanenkrieges gemacht wird, kann die Guerilla überleben und sich entwickeln.

" Da die Partisaneneinheiten im Widerstandskrieg gewöhnlich aus dem Nichts entstehen und sich aus etwas Kleinem zu etwas Großem entwickeln, so gilt für sie neben dem Prinzip, sich selbst zu erhalten, noch das Prinzip, sich zu vergrößern."

Die Bedingungen für die Realisierung dieses Prinzips lassen sich nur untersuchen, wenn der Prozeß der Überwindung der Macht des Kapitals umrißhaft vorstellbar ist.
Gegenwärtig zeichnen sich in der internationalen revolutionären Szene die Konturen schon mehr oder weniger deutlich ab. Die revolutionäre Entwicklung geht nicht mehr aus vom Generalstreik und von diesem zum militärischen Aufstand, sondern von Kommandoaktionen über den Aufbau von Widerstandszentren, zur Bildung von Milizen, zur Desorganisation und Demoralisierung der Unterdrückungsstreitkräfte durch einen lang dauernden, zermürbenden Kleinkrieg.
Erst in der Endphase können Massenaktionen - Demonstrationen, Streiks, Barrikaden, die zunächst nur eine - wenn auch sehr wichtige - Unterstützungsfunktion haben, die Entscheidung bringen und zur völligen Entwaffnung der Unterdrückungsorgane führen. Das ist eine Entwicklung, die schon Engels vorausgesehen hat:

" Er (der allgemeine Aufstand) wird daher (wegen der Entwicklung der Kriegstechnik und der veränderten Klassenfronten)seltener im Anfang einer großen Revolution vorkommen als im weiteren Verlauf einer solchen, und wird mit größeren Kräften unternommen werden müssen."

In der Anfangsphase bilden sich dezentralisiert und unabhängig voneinander einzelne Partisanengruppen, die Kommandoaktionen unternehmen. Es ist notwendig, derartige Gruppen in allen Ballungszentren zahlreich zu entwickeln, um schon in der Entstehungsphase der Feind zu zwingen, seine Kräfte zu zerstreuen und seinen Ermittlungsapparat zu überlasten.
Gleichzeitig müssen diese Gruppen Verbindungen zueinander herstellen und ihre Aktionen koordinieren, um so die Kräfte effektiver und gezielter einsetzen zu können. Diese Verbindungen sind die Voraussetzung für die Bildung örtlicher Widerstandszentren. Ist durch diese Taktik eine genügende Verdünnung der feindlichen Kräfte erreicht,können unter günstigen Bedingungen geheime örtliche Milizgruppen aufgestellt werden. Wie ist das vorstellbar?
Wenn die Kommandos taktisch richtig vorgehen, werden sie erreichen, daß die Unterdrückungskräfte, insbesondere die Polizei das System der Einzelstreifen in den Wohngebieten ( Revieren) aufgeben müssen und sich nur noch in kampfstarken Gruppen bewegen können, d. h. der Feindmuß teilweise die Verzettelung seiner Kräfte rückgängig machen.
Das bedeutet aber, daß er nicht mehr alle Gebiete zu allen Zeiten wirksam schützen und kontrollieren kann. Er muß sich aus bestimmten Bezirken - zumindest zeitweilig und immer wieder - zurückziehen. Um den Kontrollverlust klein zu halten, wird er jeweils für seine Patrouillen die Minimalgröße anstreben, um ihre Zahl steigern zu können. Die Guerilla wird in der Lage sein, nach ihrer eigenen taktischen Wahl ausreichende Kräfte - ausgerüstet mit automatischen Waffen - zu konzentrieren, die derartige Patrouillen erfolgreich angreifen können. So wird der Feind gezwungen, die Gruppenstärke zu erhöhen und gleichzeitig das Patrouillengebiet einzuschränken, ungünstiges Gelände zu meiden, Schwerpunkte zu bilden und dafür andere Objekte zu vernachlässigen usw.
Unter diesen Bedingungen kann die Guerilla eindrucksvoll und exemplarisch demonstrieren, daß der staatliche Unterdrückungsapparat in bestimmten Bereichen nicht mehr in der Lage ist, die Interessen der Besitzenden wirksam und dauerhaft zu schützen. In diesen Bereichen kann die politische Organisation des Proletariats dazu übergehen, die Herrschaft der Besitzenden zurückzudrängen. Sowenig der Staat in der Lage ist, hinter jeden Arbeiter einen Gendarmen zu stellen, sowenig ist er in der Lage, jeden einzelnen Kapitalisten, Regierungsbeamten, Richter, Offizier usw. mit einem bewaffneten Posten zu schützen.
Begreift der einzelne Ausbeuter, daß der Staat seine Sicherheit nicht mehr garantieren kann, so kann ihm durch eine richtige Politik gleichzeitig beigebracht werden, daß die Lohnabhängigen unter bestimmten Bedingungen bereit sind, durch ihre politischen Organisationen seine persönliche Sicherheit allgemein und seine wissenschaftliche Betätigung mit Einschränkungen für die Übergangszeit bis zur sozialistischen Umgestaltung des Produktions- und Verteilungsprozesses zu garantieren.
Es liegt auf der Hand, daß die ausschließlich im Untergrund und in allen Bereichen tätigen Kommandogruppen der Guerilla lediglich die allgemeinen Voraussetzungen für diese Entwicklung schaffen können,daß die Möglichkeiten zu wirklichen Machtentfaltung nur durch"bodenständige" Gruppen, deren Mitglieder im jeweiligen Produktionsbetrieb bzw. Wohngebiet verwurzelt sind, die in den politischen Organisationen der Massen auch offen arbeiten können, wahrgenommen werden können. Sie haben das Verhalten der Ausbeuter in ihrem " Bezirk"zu überwachen und durch teils offene, teils verdeckte Aktionen das Bewußtsein von der Gegenwart der bewaffneten Macht des Volkes wachzuhalten. Sie müssen in der Lage sein, auf Zuwiderhandlungen einzelner Ausbeuter gegen die von den Massen beschlossenen Richtlinien sofort und abgestuft zu reagieren, angefangen mit Propagandaaktionen( Flugblätter, Wandparolen usw.) bis zu Sabotageakten, so daß die eigentlichen Guerillakommandos schließlich nur in Ausnahmefällen für Strafaktionen im lokalen Bereich herangezogen werden müssen.
Den Besitzenden können von den proletarischen Organisationen Abgabeverpflichtungen für Gemeinschaftseinrichtungen ( Kinderläden,ärztliche Betreuungsstellen, Jugendheime usw.) auferlegt werden. Die Aufgabe der Milizgruppen ist es, die Erfüllung dieser Verpflichtungen durchzusetzen und zusammen mit den Kommandos die geeigneten"Überzeugungsmittel" zu entwickeln und gegen widerstrebende Ausbeuter einzusetzen. Eine schrittweise Entmachtung des städtischen Grundbesitzes, eine Herabsetzung der Mieten, die kollektive Verwaltung der Mietshäuser durch die Mieter, ein wirksamer Kündigungsschutz für Arbeiter, insbesondere gegen Maßregelungen wegen politischer Tätigkeit im Betrieb u.v.a. können auf diese Weise erreicht werden. Sollten die Betroffenen versuchen, staatlichen Schutz anzufordern, muß ihnen schnell klargemacht werden, daß der Staat nicht mehr in der Lage ist, diesen Schutz wirksam zu gewähren. Schließlich werden die Besitzenden einsehen,daß sie ruhiger und sicherer leben, wenn sie die Interessen der Massen respektieren und auf den ihnen angebotenen Kompromiß eingehen.
In ähnlicher Weise sind durch ein Zusammenwirken der Guerilla mit der Miliz in der Produktionssphäre die Aktionen der Lohnabhängigen gegen das Kapital abzusichern. Es ist zu demonstrieren, daß jede Inanspruchnahme des staatlichen Unterdrückungsapparates gegen Aktionen der Arbeiter in den Betrieben unausweichlich Sanktionen gegen das Eigentum und die Person derjenigen nach sich zieht, die dafür die Verantwortung tragen. Gleichzeitig muß durch geeignete Aktionen der Guerilla das Privileg der Straflosigkeit für die Funktionsträger des staatlichen Unterdrückungsapparates beseitigt werden. Es entstehen auf diese Weise nicht "befreite Gebiete" im engeren Sinne des Wortes, wohl aber die reale Macht der Massen, die zwar jeweils für Stunden durch einen massierten Aufmarsch der Konterrevolution verdrängt werden kann, die aber sofort nach dem unvermeidlichen Abzug der Unterdrückungsstreitkräfte ihren Platz wieder einnimmt.

6. Terror gegen den Herrschaftsapparat - ein notwendiges Element der Massenkämpfe

Verfolgen die in der ersten Phase entstehenden Kommandoeinheiten eine richtige Politik, dann begreifen die Massen schnell die bewaffnete Aktion als ein erfolgreiches Mittel zur Sicherung ihrer Interessen. Dieses Bewußtsein entwickelt sich allein während des Kampfes und durch ihn. In dem Maße, wie sich die Einsicht in die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes verallgemeinert, bilden sich zahlreiche militärische Zellen, die zusammen allmählich ein für den Feind undurchdringliches Gewebe bilden, operative und taktische Erfahrungen bei der Bekämpfung der Unterdrückungskräfte sammeln und in zunehmender Größenordnung anwenden.
Die in diesem Prozeß notwendige Solidarisierung der arbeitenden Massen ist der mächtigste Hebel zur allmählichen Demoralisierung der feindlichen Söldner. Immer weniger werden sich für die staatliche Repression mobilisieren lassen. Diejenigen, die im Polizei- und Soldatenberuf einen bequemen Job sehen, werden in steigendem Maße die Risiken begreifen, die dieser Beruf unter den veränderten Bedingungen mit sich bringt. Im Verlaufe dieses Prozesses isolieren sich die Unterdückungsstreitkräfte zunehmend.
Noch schneller wird die Auflösung der Moral in den Institutionen der "vorgeschalteten Repression", in den Verwaltungsbehörden, vor sich gehen, wenn allenthalben die anonymen, feigen, blutleeren und einfallslosen Routiniers der administrativen Repression für ihre volksfeindlichen Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Die Guerilla wird dabei nach dem Grundsatz verfahren: " Bestraft Einen und erzieht Hunderte". Die Herrschaft der Besitzenden, die staatliche Unterdrückungsgewalt gründet sich auf die Willfährigkeit der Unterdrückten in den Schaltstellen des Unterdrückungsapparates. Diese Willfährigkeit wiederum wurzelt in der Angst derjenigen, die sich für eine berufliche Laufbahn in diesem Apparat entschieden haben. Die Herrschaft des Kapitals ist undenkbar ohne dieses Heer der Hosenscheißer, die ihre eigene Inferiorität durch Sadismus im Umgang mit den "kleinen Leuten" kompensieren. Für sie proklamieren die revolutionären Kräfte die persönliche Verantwortung für Jede volksfeindliche Handlungsweise, für jeden Verrat in den Interessen der werktätigen Bevölkerung. Sie sind für ihre Verbrechen gezielt und abgestuft zur Rechenschaft zu ziehen. Ihre Feigheit kehrt sich so in einen Hebel zur Beschleunigung des Verfalls der feindlichen Macht. Die Guerilla wird die Fürsorger, die die proletarische Jugend mit der " Heimerziehung" terrorisieren, nicht ungeschoren lassen; die Lehrer nicht, die den autoritären und volksfeindlichen Bildungsbetrieb der Schulen aufrechterhalten; die Richter nicht, die Hauseigentümern Wuchermieten und Räumungstitel zusprechen und Kündigungen gegen Arbeiter betätigen; die Staatsanwälte nicht,die Proletarier anklagen, weil sie sich einen Teil dessen wieder genommen haben, was ihnen das Kapital vorher genommen hatte.
Aber ist das nicht "individueller Terror", das Verderben aller revolutionären Bewegungen? Zieht diese Konzeption nicht den Bannfluch der revolutionären Ahnen an? Haben wir die Polemiken Lenins gegen die Narodniki vergessen oder nicht verstanden?
Wer hier " Terror" schreit, wer auf die Partisanen mit dem Finger zeigt und sie als " Anarchisten, Blanquisten, Desperados", als" Ausgeflippte" und " Romantiker" denunziert, zeigt nur, wie fürchterlich er vor der revolutionären Aufgabe erschrickt. Zahlreich sind die Mißverständnisse über die Auffassungen Lenins zu Fragen des Terrors. Das einzige, was in dieser Hinsicht Verbreitung gefunden hat, ist die Unkenntnis dessen, was Lenin zum revolutionären Terror tatsächlich gesagt hat. Wird heute irgendwo die Frage der Bestrafung militärischer oder ziviler Führer der Konterrevolution aufgeworfen, schwingen die Schriftgelehrten der Bewegung die große Klatsche. Jede Diskussion wird mit dem Hinweis erschlagen, derartige Strafaktionen seien unter der Rubrik"individueller Terror" einzureihen, den bekanntlich Lenin in der Auseinandersetzung mit den Narodniki und den Anhängern Bakunins einer vernichtenden Kritik unterzogen und als Todsünde für jeden sozialistischen Revolutionär gekennzeichnet habe. Leninzitate werden als Denksurrogate gehandelt. Wer will schon dem "großen Meister" widersprechen.
So hält sich durch Jahrzehnte das kolossale Mißverständnis,daß sich der leninsche Begriff vom "individuellen Terror" auf Strafaktionen gegen einzelne Funktionäre des Unterdrückungsapparates beziehe, daß das Adjektiv "individuell" auf das Objekt eines Angriffs, das Individuum, welches sich als Polizeipräsident oder Staatsanwalt für die Konterrevolution verdient macht, ziele. Oft zitiert wird in diesem Zusammenhang die marxistische Theorie von der Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte, um nachzuweisen, daß die Unterdrückung ja nicht von dem Polizeipräsidenten X und dem Landgerichtsdirektor Y herrühre, sondern allein vom ausbeuterischen System des Kapitalismus, dieses aber werde nicht mit XY beseitigt, weil anderen Stelle andere Individuen treten werden. Wird diese Diskussion mit revolutionären Sozialisten geführt, werden sie sich beeilen, die Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit des revolutionären Terrors allgemein anzuerkennen. Die Logik ihrer Argumente läuft aber darauf hinaus,daß man gefälligst nicht Einzelne, Individuen, sondern Massen zuterrorisieren habe.
Lenin wäre entsetzt. Die ganze Diskussion geht tatsächlich von einem sprachlichen Mißverständnis aus, welches manchem freilich sehr willkommen scheint. Statt vor den Reflexen unseres Über- Ichs zurückzuweichen, sollte man über das Problem des Terrors alsrevolutionärem Moment sachlich nachdenken und dann prüfen, ob die Ansichten Lenins dem Resultat entgegenstehen. Wenn Lenin mit überzeugenden Argumenten den "individuellen Terror" kritisierte, so bezog sich das Adjektiv "individuell" nicht auf das Objekt, des Angriffs, sondern auf sein Subjekt. Die Kritik zielte auf den von den Massen und den revolutionären Organisationen des Proletariats isolierten und dadurch vereinzelten Kämpfer, der jedenfalls objektiv lediglich seinem individuellen Haß gegen das volksfeindliche Regime Ausdruck gab, aber nicht den revolutionären Kampf der proletarischen Massen führte. Lenin mußte die Schlacht damals gegen jene Strömung in Rußland führen und gewinnen, die glaubte, die revolutionäre Mobilisierung der Volksmassen, deren Organisierung in einer revolutionären Partei vermeiden und die Selbstherrschaft des Zaren durch die Verschwörung kleinbürgerlich-radikaler Individuen beseitigen zu können. Im russischen Bürgertum war diese Tendenz gegen Ende des 19. Jahrhunderts unvermeidlich. Von Karl Marx noch als Vorbote der aufziehenden Revolution begrüßt, stellte sie in dem Augenblick eine Gefahr für die revolutionäre Entwicklung in Rußland dar, als mit der Entstehung der großen Industrie in Rußland die Voraussetzungen für eine selbständige Organisation des wachsenden Industrieproletariats und für eine autonome revolutionäre Strategie der Arbeiterpartei in dem bürgerlich-demokratischen Revolution heranreiften, die aktiven Elemente der Arbeiterschaft jedoch von den kleinbürgerlich-radikalen Verschwörer zirkeln absorbiert wurden, die damit den Fortgang des revolutionären Prozesses behinderten.
Die materielle Grundlage des kleinbürgerlichen Terrorismus war in der widersprüchlichen Klassenlage des russischen Bürgertums gegeben, das zwischen der Revolution gegen die Selbstherrschaft und konterrevolutionärer Unterdrückung des Proletariats, dem natürlichen Bundesgenossen gegen den Zarismus, hin und her schwankte.

" Dieses widerspruchsvolle Verhältnis findet seinen Ausdruck in der Tatsache, daß in dieser formell bürgerlichen Revolution der Gegensatz der bürgerlichen Gesellschaft zum Absolutismus von dem Gegensatz des Proletariats zur bürgerlichen Gesellschaft beherrscht wird, daß sich der Kampf des Proletariats mit gleicher Kraft gleichzeitig gegen den Absolutismus und gegen die kapitalistische Ausbeutung richtet..."

Die Bourgeoisie mußte einerseits die Mobilisierung und Organisierung des Proletariats fürchten, andererseits war sie auf die Arbeitermassen als Kanonenfutter im Sturm gegen den Zarismus angewiesen. Die Ideologen des kleinbürgerlichen Terrorismus glaubten, durch "exeitierenden Terror" die Massen begeistern und auf die Barrikaden treiben zukönnen, wobei sie sich vorbehielten, die Barrikadenkämpfer nachgeschlagener Schlacht nach Hause zu schicken und die Früchte der Revolution allein zu verzehren. Diese Zusammenhänge waren den revolutionären Volkstümlern durchaus nicht bewußt; denn dazu hätte es einer klaren marxistischen Analyse bedurft, die ihrer Ideologie den Boden entzogen hätte.
Nur in diesem Zusammenhang ist die Absage Lenins an den "alten Terrorismus" - wie er sich später ausdrückte - zu verstehen und auch berechtigt. Zielscheibe seiner Kritik war die kleinbürgerliche Ideologie und Kampfesweise insgesamt, für die nie spektakulären Terrorakte kennzeichnend geworden waren. Fehlte damals noch die selbständige proletarische revolutionäre Organisation, so konnte von einem organisierten, einer eigenen Klassenstrategie folgenden "roten Terror" keine Rede sein.
Mit dieser Kampfesweise hatte sich Lenin damals nicht auseinanderzusetzen. Das mag der Grund dafür sein, daß er selbst durch manche Formulierung den späteren Mißdeutungen Vorschub leistete. Die Haltung Lenins zum revolutionären Terrorismus kann sicherlich nicht aus Arbeiten entnommen werden, in denen er sich mit dieser Frage überhaupt nicht beschäftigt. Man muß da schon diejenigen Aufsätze nachlesen, die dieses Thema behandeln.
In den Notizen Lenins zu einem Programmentwurf für den II. Parteitag der SDAPR (1905) findet sich die Vorbemerkung:

" Der Terror muß mit der Massenbewegung faktischverschmelzen."

Anfang 1905 schlugen die Sozialrevolutionäre, die revolutionären Erben der Volkstümlerrichtung, den Bolschewiki ein Kampfbündnis vor,mit dem sie ihre Kampfesweise - den Terrorismus - in die proletarische Bewegung einbringen wollten. In diesem Angebot heißt es:

" Möge diese beginnende Verschmelzung des revolutionären Terrorismus und der Massenbewegung wachsen und erstarken,möge die Masse möglichst bald mit terroristischen Kampfmitteln gewappnet auf den Plan treten!"

In seiner Stellungnahme zu diesem Schreiben gibt Lenin seiner Erwartung Ausdruck, "daß die Versuche, eine solche Kampfgemeinschaft herbeizuführen, möglichst bald Wirklichkeit werden".
An anderer Stelle ist er entschieden der Verfälschung seiner Polemik gegen die Volkstümler entgegengetreten, so u. a. in einem Artikel über den Partisanenkrieg vom 30. 9. 1906. Es ist wichtig zu wissen, an welche Erscheinungsformen des Kampfes Lenin dachte, wenn er vom Partisanenkrieg spricht:

" Die Erscheinung, die uns hier interessiert, ist der bewaffnete Kampf. Er wird von einzelnen Personen und kleinen Gruppen geführt. Teils gehören sie revolutionären Organisationen an,teils (in manchen Gegenden Rußlands zum größten Teil)gehören sie keiner revolutionären Organisation an. Der bewaffnete Kampf verfolgt zwei verschiedene Ziele, die man streng auseinanderhalten muß: dieser Kampf hat erstens die Tötung von einzelnen Personen (!), Vorgesetzten und Subalternen im Polizei- und Heeresdienst, zweitens die Beschlagnahme von Geldmitteln sowohl bei der Regierung als auch bei Privatpersonen zum Ziel. Die beschlagnahmten Mittel fließen teils der Partei zu, teils werden sie speziell zur Bewaffnung und Vorbereitung des Aufstandes, teils für den Unterhalt der Personen verwandt, die den von uns geschilderten Kampf führen..."

Lenin hat sich besonders für das zuerst genannte Ziel des bewaffneten Kampfes, also für die Liquidation von einzelnen Funktionären des Unterdrückungsapparates ausgesprochen. Mehrfach bezog er sich auf die vom Vereinigungsparteitag (1906) verabschiedeten Resolution zur Frage des Partisanenkrieges, die Expropriationen von Privateigentum für unzulässig, Expropriationen von Staatseigentum zwar nicht empfohlen, in bestimmten Fällen jedoch für zulässig erklärt, "terroristische Partisanenaktionen gegen Vertreter des Gewaltregimes und aktive Schwarzhunderter" aber ausdrücklich empfiehlt.
Lenin schrieb zu dieser Resolution:

" Wir halten die Resolution für grundsätzlich richtig und verweisen darauf, daß sie mit den Gedanken übereinstimmt, die wir im Artikel ' Der Partisanenkrieg' entwickelt haben..."

Und noch klarer:

" Die Partisanenresolution anerkennt . . . den' Terror' anerkennt Partisanenaktionen zwecks Tötung des Gegners. . . Neben der Arbeit in den Massen wird der aktive Kampf gegen die Gewalttäter, d. h. zweifellos ihre Tötung vermittels' Partisanenaktionen' anerkannt . . . Wir raten all den zahlreichen Kampfgruppen unserer Partei, mit ihrer Untätigkeit Schluß zu machen und eine Reihe von Partisanenaktionen zu unternehmen . . . bei möglichst geringer ' Verletzung der persönlichen Sicherheit' friedlicher Bürger und bei größtmöglicher Verletzung der persönlichen Sicherheit von Spionen, aktiven Schwarzhundertern,höheren Offizieren der Polizei, des Heeres, der Flotte und so weiter und dergleichen mehr. Waffen aber und Munition im Besitz der Regierung sind zu konfiszieren, wo immer sich eine Möglichkeit bietet. Zum Beispiel. Polizisten haben Waffen, die der Regierung gehören! Es bietet sich eine Möglichkeit . . .

Als ob Lenin schon damals die Ergüsse gewisser sich" Marxisten- Leninisten" nennender Gruppierungen vorgelegen hätten, resümiert er:

" Die Bewertung, die man dem hier betrachteten Kampf gewöhnlich zuteil werden läßt, läuft auf folgendes hinaus: das sei Anarchismus, Blanquismus, der alte Terror, es handele sich um Aktionen von Einzelpersonen, die von den Massen losgelöst sind, solche Aktionen demoralisierten die Arbeiter, stießen weite Kreise der Bevölkerung von ihnen ab, desorganisierten die Bewegung, schadeten der Revolution . . ."

Unmißverständlich qualifiziert er diese Bewertung als"unrichtig, unhistorisch und unwissenschaftlich", weist darauf hin,daß das Fehlen eines Widerstandes mehr demoralisiert als ein organisierter Partisanenkampf, der gerade in den mehr oder minder großen Pausen zwischen den "großen Schlachten" eine unvermeidliche Kampfform sei.

" Desorganisiert wird die Bewegung nicht durch Partisanenaktionen, sondern durch die Schwäche der Partei, die es nicht versteht, diese Aktionen in die Hand zu nehmen . . . Unsere Klagen über die Schwäche unserer Partei hinsichtlich des Aufstandes . . . Jede moralische Verurteilung des Bürgerkrieges ist vom Standpunkt des Marxismus völlig unzulässig. Inder Epoche des Bürgerkriegs ist das Ideal der Partei des Proletariats eine kriegführende Partei. . . . Im Namen der Grundsätze des Marxismus verlangen wir unbedingt, daß man sich nicht mit abgenutzten und schablonenhaften Phrasen von Anarchismus, Blanquismus und Terrorismus um eine Analyse der Bedingungen des Bürgerkrieges drückt, daß man sinnlose Methoden der Partisanenaktionen, wie sie von dieser oder jener Organisation . . . in diesem oder jenem Augenblick angewandt worden sind, nicht zum Abschreckungsmittel gegen die Beteiligung der Sozialdemokraten am Partisanenkrieg überhaupt macht . . ."

Dieser Partisanenkrieg ist nach Lenin der "organisierte,planmäßige, von einer Idee getragene, politisch erzieherische bewaffnete Kampf".
Obwohl moralisierende Betrachtungen in einer marxistischen Polemik keinen Platz haben sollten, muß man noch wegen des allgemeineren Gesichtspunktes auch die folgende Äußerung Lenins zitieren:

" Wenn ich aber bei einem sozialdemokratischen Theoretiker oder Publizisten nicht Betrübnis über diese mangelnde Vorbereitung(für den Partisanenkrieg), sondern stolze Selbstzufriedenheit und selbstgefällig-begeisterte Wiederholung in früher Jugend auswendig gelernter Phrasen über Anarchismus, Blanquismus und Terrorismus sehe,dann kränkt mich diese Erniedrigung der aller revolutionärsten Doktrin der Welt . . ."

In dem Aufsatz:" Die Lehren des Moskauer Aufstandes" wendet Lenin auf die beschriebenen Partisanenaktionen den Begriff " Massenterror"an und führt aus:

" Der Partisanenkrieg, der Massenterror, der jetzt nach dem Dezember (also nach der militärischen Niederlage des Aufstandes von 1905)überall in Rußland fast pausenlos ausgeübt wird, wird zweifellos helfen, die Massen zu lehren, im Augenblick des Aufstandes die richtige Taktik anzuwenden. Die Sozialdemokratie muß diesen Massenterror billigen und zum Bestandteil ihrer Taktik machen . . ."

Anders kann ein Marxist auch nicht zur Frage des revolutionären Terrors Stellung nehmen. Dieser richtet sich selbstverständlich nicht gegen das Volk, gegen die Massen, auch nicht gegen solche Schichten, die nach ihren Lebensbedingungen und ihrer Klassenlage dem Proletariat zwar nahestehen, sich aber nicht zur Teilnahme an der revolutionären Bewegung entschließen können. Der revolutionäre Terror richtet sich ausschließlich gegen Exponenten des Ausbeutungssystems und gegen Funktionäre des Unterdrückungsapparates, gegen die zivilen und militärischen Führer und Hauptleute der Konterrevolution. Die Einsicht, daß die Unterdrückung nicht den Launen der jeweiligen Charaktermasken des kapitalistischen Systems, sondern den ökonomischen Zwangsgesetzen dieser Formation selbst entspringt, ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit.
Dieses System verleibt sich nie Menschen ein, macht diese zu seinen Organen,wie diese sich auch persönlich mit ihrer Funktion im Unterdrückungsapparat identifizieren und so zu Feinden werden. Das System wirkt und handelt durch diese Feinde des Proletariats. Will man es zerstören, muß man seine Organe ausschalten. Einen anderen Weg gibt es nicht. Die Herrschenden bedienen sich der Angst, die sie durch Terror erzeugen, um sich das Proletariat gefügig zu halten. Was spricht dagegen,daß sich die Unterdrückten ebenfalls der Angst bedienen, die sie durch Terror ihren Feinden einjagen, um sich endlich zu befreien?

7. Die Kraft der Volksmassen konkret entdecken und so die Resignation in den Massen überwinden!

Im Unterschied zum Putschismus "ist der Terrorismus kein Schnellverfahren für Revolutionäre, das ihnen die Möglichkeit böte, sich die Anstrengungen der politischen Arbeit zu ersparen: vielmehr schafft der Terrorismus allererst Bedürfnis und Bedingungen dieser Arbeit und ist damit deren Ausgangspunkt. Die Aufständischen müssen die Funktion einer politischen Avantgarde Organisation übernehmen, wenn sie nicht isoliert und weggefegt werden wollen; die Guerilla muß eine Schule der politischen Praxis werden, revolutionäre Kader aufstellen, an Ort und Stelle ein Übergangsprogramm erarbeiten, das dem Bewußtseinsstand der Massen entspricht und permanent in dem Maße,wie der Grad der Bewußtheit im Kampf und durch ihn wächst,überarbeitet wird."
Die wirksame Absicherung der Interessen und Aktionen der Massen durch bewaffnete Gruppen hat entscheidende Bedeutung für die Bildung und Festigung neuartiger politischer Organisationsformen der Massen. Es gilt der Satz Maos allgemein:

"jeder Kommunist muß die Wahrheit begreifen: die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen. Unser Prinzip lautet: die Partei kommandiert die Gewehre, und niemals darf zugelassen werden, daß die Gewehre die Partei kommandieren. Hat man aber Gewehre, dann kann man wirklich Parteiorganisationen schaffen . . . dann kann man auch noch Kader hervorbringen, Schulen errichten, eine Kultur schaffen, Massenbewegungen ins Leben rufen."

Die so entstehende Organisation des revolutionären Proletariats wird in der Lage sein, gestützt auf die Gewehre, die Unterdrückungsstreitkräfte des Klassenfeindes zu zersetzen und schließlich restlos zu schlagen. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Feind wiederholt mit seinen Gewehren den Kampfgeist des Proletariats gebrochen, die revolutionären Kader dezimiert und demoralisiert. Die Revolutionäre hatten den Mut zu kämpfen verloren, weil sie den Gewehren des Feindes wehrlos ausgesetzt waren. In der letzten Auseinandersetzung zwischen den Klassen zählen nur Gewehre.
Die Solcher des Kapitals werden die Arbeiter nur respektieren und fürchten, wenn diese Gewehre in ihren Händen halten. Die Macht des Feindes ist begrenzt. Sie hängt ab von den Menschen, die die Hebel seines Unterdrückungsapparates betätigen. Die perfektionierten und technisch komplizierten Tötungsmaschinen des Kapitals sind harmlos, wenn die Menschen fehlen, die sie bedienen müssen.
Wenn sich in der Vergangenheit das Proletariat in Deutschland mit Waffen gegen das Kapital erhob, dann hat es zwar heldenhaft, aber nach falschen taktischen Prinzipien und ohne strategische Perspektive gekämpft. Mut und Stolz schienen den revolutionären Kämpfern zu gebieten, sich dem formierten Feind offen entgegenzustellen und bis zur letzten Patrone standzuhalten. Das Ergebnis kann nicht überraschen. Die proletarische Revolution ist kein feudales Turnier.
Noch nie hat sich die Bourgeoisie in ihrer langen Geschichte gegenüber dem Proletariat ritterlich verhalten. Was könnte Revolutionäre veranlassen, im Kampf gegen einen skrupellosen, feigen und verschlagenen Feind nach einem Ehrenkodex zu verfahren, den die Herrschenden zu ihrem eigenen Vorteil ersonnen, an den sie sich selbst aber nie gehalten haben? Engels hat sich 1857 in einem Artikel über den englisch-chinesischen Krieg mit dem heuchlerischen Gezeter der Liberalen über die Methoden des Partisanenkampfes auseinandergesetzt. Er hob hervor, daß das chinesische Volk mit dem Partisanenkrieg eine Methode gefunden habe, die, wenn sie fortgesetzt würde, einen englischen Sieg unmöglich machen könnte. Er schrieb: ". . . jetzt beteiligt sich die Masse des Volkes aktiv, ja sogar fanatisch am Kampf gegen die Ausländer. Sie vergiften massenhaft und mit kaltblütiger Berechnung das Brot der europäischen Kolonie Hongkong . . . Mit verborgenen Waffen gehen Chinesen an Bord von Handelsschiffen, und auf der Fahrt bringen sie die Mannschaft und die europäischen Passagiere um und bemächtigen sich der Schiffe. Sie entführen und töten jeden Ausländer, dessen sie habhaft werden können . . . was soll eine Armee gegen ein Volk unternehmen, das zu solchen Mitteln der Kriegführung greift? . . .
Zivilisationskrämer, die Brandbomben auf eine schutzlose Stadt werfen und dem Mord noch die Vergewaltigung hinzufügen, mögen die Methode feige, barbarisch und grausam nennen; aber was kümmert das die Chinesen,wenn sie ihnen nur Erfolg bringt . . . Wenn ihre Entführungen,Überfälle und nächtlichen Gemetzel nach unserer Auffassung als feige zu bezeichnen sind, dann sollten die Zivilisationskrämer nicht vergessen, daß, wie sie selbst bewiesen haben, sich die Chinesen mit den gewöhnlichen Mitteln ihrer Kriegführung gegen europäische Zerstörungsmittel nicht behaupten können . . . anstatt über die schrecklichen Grausamkeiten zu moralisieren, wie es die Presse tut, täten wir besser daran,anzuerkennen, daß es sich hier um . . . einen Volkskrieg handelt. . . Und in einem Volkskrieg können die Mittel, die von der aufständischen Nation angewandt werden, weder nach den allgemein anerkannten Regeln der regulären Kriegführung gewertet werden noch nach irgendeinem anderen abstrakten Maßstab . . ."
In der Revolution gibt es ein oberstes Prinzip: Die Kräfte des Volkes entwickeln und erhalten, die Kräfte des Feindes vernichten. Damit sind der Roten Armee Strategie und Taktik vorgeschrieben. Wenn der Feind formiert und massiert auftritt, wird er die Guerilla nicht finden und deshalb auch nicht bekämpfen können. Wenn sich die Söldner des Feindes aber zerstreuen, wenn sie arglos und vereinzelt sind, in ihre Quartiere und Wohnungen zurückkehren, werden die Partisanen sie dort erwarten und zur Verantwortung ziehen. Die Angriffe der Guerilla sollten sich nach Möglichkeit nicht gegen die einfachen Soldaten des Feindes, wohl aber gegen seine Offiziere und leitenden Beamten richten. Für sie darf es nirgends mehr ein befriedetes Gebiet, eine " Etappe", eine friedliche Heimat, ein sicheres Privatleben geben. Der Offizier oder Beamte wird nicht wissen, welcher seiner Nachbarn mit der Guerilla in Verbindung steht, wann und unter welchen Umständen der Schlag gegen ihn geführt wird.
In dem Maße, wie die bewaffneten Gruppen des Volkes "in den Massenschwimmen wie ein Fisch im Wasser", werden die Feinde des Volkes in diesen Massen ertrinken. In diesem Prozeß wird das Volk seine Kraft entdecken und bewußter einsetzen, es wird seine Fesseln, den Gehorsam gegenüber den Gesetzen der Ausbeutergesellschaft, abstreiten. Wo soll der Staat die zehntausende Helden hernehmen, die bereit sind, sich unter diesen Bedingungen, unter diesem Druck, dieser Angst und Ungewissheit für die Interessen des Kapitals gegen einen unsichtbaren und fürchterlichen Feind zu schlagen?
Es genügt nicht, nur immer von der Kraft der Volksmassen zu reden. Es kommt darauf an, sie endlich konkret zu entdecken; die Bedingungen zu schaffen, daß die Massen nicht mehr wehrlos den Unterdrückungsfeldzügen des Kapitals ausgesetzt sind, sondern befähigt werden, ihre reale Macht konkret zu entfalten und dem Feind erfolgreich entgegenzusetzen. Hat die Auflösung der feindlichen Kräfte einen genügenden Grad erreicht, dann wird es aussichtsreich,durch koordinierte Aktionen der Massen in den Produktionsbetrieben und der bewaffneten Abteilungen des Proletariats den letzten Widerstand des Feindes zu brechen und die Macht des Volkes in allen Bereichen zu festigen. Nach dieser Skizze ist die Frage wiederaufzunehmen, wie die Entwicklung der Roten Armee von isolierten Partisanengruppen zu einem umfassenden und koordinierten System von bewaffneten Kadern zu organisieren ist.
Es ist dem Zufall, sondern Ausdruck des Wirkens antagonistischer Widersprüche im kapitalistischen System, wenn heute mehr und mehr junge Menschen bereit und entschlossen sind, ihr persönliches Schicksal konsequent mit dem Schicksal der proletarischen Revolution zu verbinden, die auch bereit sind, die persönlichen Risiken des bewaffneten Kampfes auf sich zu nehmen. Sind es in Westdeutschland erst Hunderte oder schon Tausende? Diese Frage kann nur die Praxis entscheiden. Jedenfalls haben sie -- noch spontan, unsystematisch, ohne Koordination und ohne organisatorische Grundlage-- begonnen, die ersten praktischen Schritte zu gehen. Haben sie erst einmal die Angst vor dem Staatsapparat überwunden, wird sie auch das Gezeter der Revolutionsliteraten und der Maulhelden nicht davon abhalten, diesen Weg weiterzugehen.
Die Partisaneneinheit entsteht aus dem Nichts. jeder kann anfangen. Er braucht auf niemanden zu warten. Einige Dutzend Kämpfer, die wirklich beginnen und nicht nur endlos diskutieren, können die politische Szene grundlegend verändern, eine Lawine auslösen. In der ersten Phase stellt sich die Aufgabe, durch geeignete Aktionen zu demonstrieren, daß sich bewaffnete Gruppen bilden und gegen den Staatsapparat behaupten können; das bewaffnete Überraschungsangriffe ein Mittel sein können, legitime Interessen gegen ein repressives System erfolgreich durchzusetzen. Kurz: Das Mittel des bewaffneten Kampfes ist praktisch zu entdecken.
Falsch wäre es, dieses Mittel erst einzusetzen, wenn die " Zustimmung der Massen" sicher ist; denn das hieße, auf diesen Kampf gänzlich verzichten, weil diese " Zustimmung der Massen" allein durch den Kampf erreicht werden kann. Es handelt sich um einen recht komplizierten Bewußtseinsbildungsprozeß, für dessen Untersuchung ein undifferenzierter, abstrakter Begriff der " Masse"völlig untauglich ist. " Masse" im Zusammenhang von Klassenauseinandersetzung in der spätkapitalistischen Gesellschaft bezeichnet eine reale Abstraktion, eine vermittelte Gesamtheit untereinander mannigfach verbundener und kommunizierender Schichten arbeitender Menschen,die insgesamt durch ihre jeweilige Klassenlage ein Interesse gemeinsam haben -das Interesse an der Beseitigung der kapitalistischen Ausbeutung und Herrschaft, die wegen dieser Interessengemeinschaft insgesamt das antikapitalistische Lager bilden. Die zu dieser Gesamtheit gehörenden verschiedenen Schichten unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht voneinander, sind in unterschiedlicher Weise den Zwangsgesetzen des kapitalistischen Prozesses ausgesetzt und näher auch ungleichzeitig in einem Bewußtseinsprozeß, in dessen Verlauf sie zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen die Widersprüche ihrer Klassenlage und die daraus folgenden Interessen begreifen. Die konkrete Untersuchung des Bewußtseinsprozesses als Teil der Klassenanalyse setzt daher eine Differenzierung des Begriffs " Masse" nach spezifischen Schichten voraus.
Wenn beispielsweise die Guerilla gegen einen sadistischen Erzieher in einem staatlichen " Fürsorgeheim" einschreitet, werden viele proletarische Eltern empört sein und diese Intervention verurteilen, weil sie selbst an die Notwendigkeit staatlicher Erziehungsheime und an eine rigide Erziehung glauben; weil sie selbst oft mit den Gedanken spielen, ihre eigenen Erziehungsprobleme, die zunehmen, den staatlichen Instanzen zu überantworten und schließlich, weil sie erzogen sind, jegliche Auflehnung gegen gesellschaftliche Gewalten unschicklich und unerlaubt zu finden. Die proletarischen Jugendlichen in den Heimen dagegen, die die Repression unmittelbar erfahren, aber auch viele jugendliche, die täglich mit der Androhung der Heimerziehung als Zuchtmittel terrorisiert werden, sie werden die Aktion verstehen. Wird diese zudem in Formen und mit Mitteln durchgeführt, deren sich die Jugendlichen selbst ohne großen Aufwand bedienen können, werden sie nach einigen " Lehrstücken"dazu übergehen, ihre Peiniger selbst zu disziplinieren. Mehr noch: die Jugendlichen können ihren Widerstand verstärken in dem Bewußtsein, daß die Guerilla eingreifen wird, wenn die Behörden die Repression steigern sollten.
Ein anderes Beispiel: wenn die Guerilla durch bewaffnete Aktionen einige Zwangsräumungen exemplarisch verhindert und künftig derartige Vollstreckungen nur noch unter dem Schutze von Panzern und Maschinengewehren möglich sein werden, dann werden heute vielleicht noch viele Proletarierin den Chor der veröffentlichten Meinung der Herrschenden einstimmen und die Aktion als " Anarchie" brandmarken. Die Hunderttausende aber, die den Weg in staatliche Obdachlosenasyle schon gegangen sind oder die mit diesem Schicksal vor Augen auf das Notwendigste verzichten, nur um die Wuchermieten noch bezahlen zu können, werden diesen Schritt verstehen und in der Handlungsweise der Guerilla ihr eigenes Interesse wiederfinden. Wenn ein Partisanenkommando einen Konzernchef gefangen nimmt, weil er Arbeiter auf die Straße gesetzt hat, und damit die Rücknahme der Kündigung erreicht, werden auch das noch einige Arbeiter "kriminell" finden. Wer vor dieser Reaktion zurückschreckt, vergißt, daß aus ihr nicht "das proletarische Klassenbewußtsein" spricht, daß der sklavische Gehorsamsreflex nicht Ausdruck eines "gesunden Klasseninstinktes",sondern des bürgerlichen Überbaus in den Köpfen der Arbeiter -des bourgeoisen Über- Ichs, dieses Kettenhundes des Kapitals - ist. Dieser Reflex muß niedergekämpft werden; nie darf man sich ihm unterwerfen. Wird die als Beispiel erwähnte Aktion unter geeigneten Bedingungen zur richtigen Zeit durchgeführt, werden viele Arbeiter begreifen, daß es letztlich der einzige Weg ist, die berechtigten Interessen des Proletariats erfolgreich durchzusetzen. Dieses Begreifen ist ein komplizierter und widersprüchlicher Prozeß. Obwohl in den Massen eine latente Bereitschaft zur Gewalttätigkeit vorhanden ist und ständig wächst (z. B. die Aggressivität gegen Nonkonformisten), stoßen gewaltsame Angriffe einer revolutionären Avantgarde gegen die Institutionen des Kapitals weithin auf eine mehr oder weniger affektive Ablehnung in breiten Schichten des Proletariats,während das Gewaltmonopol des Staates selbst dann anerkannt wird, wenn sich die staatliche Gewalt offen gegen die Arbeiterschaft wendet. Dieser Widerspruch erklärt sich aus den schmerzlichen Erfahrungen des Proletariats während eines langwierigen Anpassungsprozesses an die Ausbeutergesellschaft.
Das wichtigste Ergebnis dieser Anpassung ist der Gehorsam gegenüber den Gesetzen und gesellschaftlichen Konventionen, die doch nur Gesetze und Konventionen im Interesse der Herrschenden, also der besitzenden Klassen sind. Die Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft kann aber die spontane Neigung, sich der Unterdrückung mit Gewalt zu erwehren, nicht völlig löschen, sondern nur in eine den Herrschenden ungefährliche Richtung ablenken und deformieren. Das Gewaltpotential der Unterdrückten ist nicht eliminiert, sondern durch den schließlich erreichten Gehorsam lediglich gebändigt, stets auf dem Sprung, in einer " Regression"verstärkt und in der richtigen Richtung wieder in Erscheinung zu treten. Die Allgemeinheit des Gehorsams ist eine wesentliche Bedingung seiner Aufrechterhaltung. Wird dieser Gehorsam zielstrebig, nachhaltig und demonstrativ versagt mit dem Anspruch, das Gesetz der Herrschenden zur Verwirklichung eines höheren Rechts der Unterdrückten zu brechen,verliert schließlich die Norm ihre allgemeine Verbindlichkeit. Die zunächst isoliert erscheinende Gehorsamsverweigerung verliert schnell den Makel des "moralischen Versagens".
Solche Reaktion ist leicht bei der Entstehung einer besonderen, von der allgemeinen Moral abweichenden Gruppenmoral, aber auch ganz allgemein in Zeiten sozialer Unrast zu beobachten. Die Herrschenden fürchten sie.
Die Entwöhnung vom Gehorsam gegenüber der bürgerlichen Rechtsordnung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen. Sie ist keine Frage der theoretischen Einsicht. In der Protestbewegung von 1967/68 wurde von vielen der Klassencharakter der bürgerlichen Ordnung und die Notwendigkeit ihrer gewaltsamen Beseitigung sehr schnell begriffen. Damit waren aber längst noch nicht die sogenannten Hemmungen, die eingeschliffenen Gehorsamsreflexe überwunden. Dazu bedurfte es erst der wiederholten, bewußten und praktischen Normverletzung. Mag dieser Reflex in proletarischen Schichten auch nicht so ausgeprägt sein und nicht den ausgesprochen skrupulösen Charakter haben wie bei kleinbürgerlichen Intellektuellen, so ist er doch vorhanden. Der Arbeiter kann ihn noch weniger als der Intellektuelle durch theoretische Reflexion überwunden. Nur seine Praxis im Sinne unmittelbarer Erfahrung kann diese verhängnisvolle Bewußtseinsstruktur aufbrechen.
Nun gibt es nicht wenige Genossen, die Klassikerzitate bereithalten um zu beweisen, daß revolutionäre Gewalt erst dann angewandt werden dürfe, wenn deren Notwendigkeit in das Bewußtsein der" Arbeiter" eingegangen sei. Eine besondere Rolle spielt gegenwärtig der Satz von Mao Tse-tung:

" Wenn das Bewußtsein der Massen noch nicht geweckt ist,und wir dennoch einen Angriff unternehmen, so ist das Abenteurertum."

Der daraus hier und heute abgeleitete Einwand gegen bestimmte Aktionsformen ist auf zwei Ebenen zu widerlegen: Er operiert wiederum mit der metaphysischen Abstraktion " Masse" und ignoriert, daß die Studenten aufgrund der sich vollziehenden Änderung der Klassenstruktur in der spätkapitalistischen Gesellschaft einen wichtigen avantgardistischen Teil dieser Masse, des antikapitalistischen Lagers, bilden, der in der Lage ist,unter bestimmten Bedingungen gerade durch sein gewaltsames Handeln fortschreitend andere Schichten des Proletariats in die revolutionäre Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt mitzureißen.
Die Beteiligung von einigen tausend junger Arbeiter am Kampf gegen die Polizei während der Osterunruhen 1968 mag ein bescheidenes Beispiel dafür sein. Nach den revolutionären Kämpfen der jungen Arbeiter in Frankreich wenige Wochen später, insbesondere nach der Schlacht von Flins, ist die Richtigkeit dieser Einschätzung historisch bewiesen.
Die kritischen Studenten haben massenhaft die Notwendigkeit revolutionärer Gewalt bereits begriffen. Der revolutionäre Prozeß kann nur dann voranschreiten, wenn sie diese Einsicht auch tatsächlich praktizieren!
Weiterhin wird in diesem Einwand nicht bestimmt, welcher Begriff vom Massenbewußtsein dem angeführten Zitat zugrunde liegt. Ist der von Mao Tse-tung verwendete Begriff " Bewußtsein der Massen"identisch mit dem gleichnamigen Begriff, der in unseren Auseinandersetzungen die entscheidende Rolle spielt? Mao geht aus von dem Bewußtsein der ländlichen Massen und des städtischen Proletariats im China des Bürgerkrieges, also von einem Bewußtsein unterdrückter Klassen, die sich auch in ihrem Bewußtsein selbst noch von den sozialen Institutionen abheben, die die Unterdrückung bedingen; die in diesem Sinne ihre Umwelt noch in zwei Dimensionen erleben; denen das Bewußtsein und damit der Begriff der Unterdrückung noch nicht abhanden gekommen ist; die sich noch nicht so entfremdet sind, daß sie sich als Teil der repressiven Institutionen begreifen und sich mit ihnen identifizieren.
Wenn Mao in anderem Zusammenhang das Bewußtsein der Massen in China als"ein weißes Blatt Papier" bezeichnet, auf dem man die schönsten Bilder malen könne, so geht er auch hier von einem"jungfräulichen" Bewußtsein aus. Auf diesem"weißen Blatt Papier" hat Mao in der Tat die schönsten Bilder gemalt. Die chinesischen Massen waren offen für die wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus- Leninismus, dessen konkrete Anwendung auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in China den Massen zu einem ununterbrochenen " Aha- Erlebnis" verhalf, also zündete,die Massen ergriff und so zur materiellen Gewalt wurde.
In den Metropolen dagegen haben die jahrzehntelange konterrevolutionäre Propaganda, Erziehung, Wissenschaft und Kunst sich jeden einzelnen Satz der marxistischen Lehre vorgenommen, haben ihn vulgarisiert, verballhornt,verlogen verzerrt und oft in sein Gegenteil verkehrt, haben sie jeden zentralen Begriff der revolutionären Theorie mit negativen Affekten besetz und damit für die revolutionäre Propaganda und Agitation in den Massen unbrauchbar gemacht, haben sie auf dem Hintergrund einer verfälschten Lehre deren " Versagen" in der gesellschaftlichen Wirklichkeit "bewiesen", schließlich haben die zahlreichen Niederlagen der Arbeiterbewegung in den westlichen Industrieländern das Vertrauen der Massen in die marxistische Theorie zerstört, weil sich die erfolglosen Arbeiterparteien auf diese Lehre berufen hatten.
Durch diesen Prozeß ist in den Massen ein Bewußtsein erreicht worden, das mit einem "weißen Blatt Papier", dem Bewußtsein der chinesischen Massen, nicht mehr das Geringste zu tun hat,von diesem qualitativ verschieden ist: ein immunisiertes Bewußtsein. Wir müssen das Problem lösen, wie und mit welchen Mitteln dieses aufgebrochen werden kann. Doch wenn es ums Bewußtsein des Proletariats geht, kramen so manche Genossen alchimistische Rezepte hervor und beginnen, danach zu dozieren. Gewiß ist es wichtig, daß die Arbeiter die sozio-ökonomischen Zusammenhänge der erlittenen Unterdrückung erkennen lernen. Wer sich aber hinstellt und dem Proletarier heute anhand von " Lohnarbeit und Kapital" auseinandersetzt, daß er ausgebeutet und unterdrückt wird, ohne ihm gleichzeitig praktisch einen Weg zu zeigen, wie er aus der Scheiße rauskommt, der wird - es ist nur eine Frage der Zeit - von eben diesem Proletarier einen Tritt kriegen- und das mit Recht. Daß er sich schinden und obendrein die Schnauze halten muß, hat jeder Arbeiter irgendwann einmal gewußt und viel Mühe darauf verwendet, dieses Bewußtsein zu verdrängen. Wer will denn heute schon noch als " Arbeiter" angesprochen werden? Nachdem ihm dieser Verdrängungsakt gelungen, kommt so ein Kamel -womöglich auch noch ein Studierter - daher und frißt das glücklich gewachsene Gras wieder weg. Das kann nicht gut gehen.
Manche vertrauen auch naiv darauf, daß sich das Proletariat an den Widersprüchen des Kapitalismus wundstoßen und so revolutioniert werde. Sie vergessen, daß es seit den Entstehung des industriellen Kapitalismus ausgiebig Gelegenheit hatte, sich wund zu stoßen - inzwischen ist ihm eine Hornhaut gewachsen. So schnell kommt es da nicht zu revolutionären Entzündungen Sicherlich wird in den vor uns liegenden Jahren die Unzufriedenheit breiter Schichten schnell zunehmen. Diese Unzufriedenheit für sich ist jedoch nur die Grundlage für eine Neuauflage des Reformismus, der sich freilich in ein revolutionäres Vokabular einkleiden wird. Das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer Veränderung der Verhältnisse ist nur ein Element des revolutionären Bewußtseins, um zu einer geschichtlichen Sprengkraft zu werden, muß die Einsicht in die Möglichkeit einer revolutionären Veränderung hinzukommen.
Die mechanistischen Vorstellungen über die proletarische Psyche sollten endlich in die Mottenkiste wandern. Der nur von wenigen marxistischen Theoretikern vorausgesehene und von keinem Praktiker für möglich gehaltene Ausbruch des französischen Proletariats im Mai 1968 hat - zum wievielten Male eigentlich? - die Dialektik des proletarischen Klassenbewußseins, das ein antagonistisches ist, anschaulich gemacht. Als in Paris am 13. Mai 1968 eine Million Arbeiter und Studenten demonstrierten und danach 10 Millionen streikten, als mitten in Europa in einem typisch neokapitalistischen Land die proletarische Revolution an die Büropaläste der Herrschenden klopfte, da wußten die Arbeiter,daß sie Unterdrückte und Ausgebeutete sind. Das hatten ihnen die Studenten nicht erst beibringen müssen. Das wußten sie auch ohne die Schulungskurse der reformistisch verkommenen KP F aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen in der Tretmühle der kapitalistischen Arbeitsstrafanstalten. Was sie spontan in den Streik und auf die Barrikadentrieb, war ihre nächtliche Ohrenzeugenschaft der Barrikadenkämpfe vom 10. Mai im Quartier Latin. In jener Nacht wehrten sich die Studenten heldenhaft gegen die terroristischen Angriffe der Bürgerkriegsgarde des Regimes, der CRS. Sie stellten damit das verhaßte Regime nicht nur in Worten, sondern auch mit mutigen Taten in Frage.

" Die Repression der Polizei mit ihrer ganzen primitiven Wildheit begann; die Studenten waren nicht einfach nur Opfer, sondern auch Kämpfende; sie verteidigten sich, und zum Mitleid gesellte sich die Bewunderung. In Frankreich herrscht weniger die Polizei selbst, als die Furcht vor ihr; die ansteckende Kraft des Mutes spaltet die Furcht, die die Gesellschaft zusammenhält."

Selbstverständlichkeit der Herrschaft, Unvermeidlichkeit der entfremdeten Arbeit, Unabänderlichkeit der gesellschaftlichen Verelendung- diese auf dem Kompost unterdrückter Zweifel und verdrängter Hoffnungen gedeihenden Giftkräuter - begannen im Sturm der Rebellion zu welken. Unter dem Bann der befreienden Tat öffneten sich die Massen plötzlich politischen Theorien und Lösungen, die sie eben noch leidenschaftlich-aggressiv von sich fernhielten. Bedingung dieser Aufnahmebereitschaft war der revolutionäre Aufbruch einer Avantgarde, der durch seine Wucht Fragen stellte, die revolutionäre Antworten zuließen. Der dem französischen Proletariat durch die packende und erregende Berichterstattung von Radio Luxemburg vermittelte massenhafte,solidarische und mutige Widerstand der Studenten auf den Barrikaden im Quartier Latin war das auslösende Ereignis, das den Massen die Veränderbarkeit ihrer eigenen Unterdrückungssituation zum Bewußtsein brachte. Die Entschlossenheit, die eigene Lage zu ändern, richtete die Aufmerksamkeit und Empfänglichkeit der Massen auf jene Theorien und Handlungsanleitungen, aus denen sich Entwürfe für die ersehnten Wandlungen ableiteten.
Wenn auch die Konterrevolution - nicht zuletzt durch den Verrat der KPF - die Gesellschaft wieder unter ihre Kontrolle brachte, war die Erhebung ein großer Sieg allein schon durch die Erfahrung der eigenen Stärke,der bewegenden Kraft der Solidarität und der demokratischen Organisation. Sie wird lange nachwirken.
Es zeigt sich aber eine Gegentendenz. Die vorläufig geschlagenen, deshalb enttäuschten Massen beginnen in paradoxer Weise sich gegenüber dem revolutionären Theorien wieder zu verschließen sie vollziehen die Wiederanpassung an den grauen, visionslosen Alltag ihrer proletarischen Existenz. Ohne ein klares Bewußtsein davon zu haben, fühlen die Massen, daß sich dieser Alltag mit der von konkreter Hoffnung ausgelösten gespannten Erregung auf die Dauer nicht ertragen läßt. So wie die lang dauernde Unterdrückung das falsche Bewußtsein ihrer Unvermeidlichkeit und Unabänderlichkeit erzeugt,so wird diese Unterdrückung gerade durch dieses falsche Bewußtsein ihrer Schicksalhaftigkeit erträglicher. Die konkrete Hoffnung wird von ihren Bezügen auf die soziale Wirklichkeit entleert und an tagtraumhafte Erwartungen persönlicher Glücksfälle geheftet. Wenn dieser psychische Anpassungsprozeß die Massen von der revolutionären Theorie wegführt, wie kann man da vernünftigerweise annehmen, deren Propagierung werde die Resignation lösen?

8. Revolution und jugendliche Gesellschaft

Diese hier dargelegten Überlegungen beziehen sich auf jene proletarischen Schichten, deren psychische Anpassung und soziale Integration dem System bereits gelungen ist. Die Ausführlichkeit der Argumentation ist gerechtfertigt, weil diese Schichten heute noch als gesellschaftliches Gravitationszentrum wirken, das die kapitalistische Formation zusammenhält. Es ist naher wichtig, die selbst in diesen Schichten vorhandene potentielle revolutionäre Energie aufzuzeigen. Die Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Fehlvorstellungen war auch deshalb geboten, weil die politische Praxis vieler Genossen mehr oder weniger von der stillschweigenden Erwartung ausgeht, es werde denn Kapitalismus auch künftig gelingen, die Integration der nachwachsenden Generationen zu bewirken, so daß der angepaßte und integrierte Lohnabhängige auch für die Zukunft der Prototyp sein werde, an dem sich die revolutionäre Propaganda und Agitation zu orientieren habe.
Kurz: ausgehend vom vorgefundenen Erwachsenenbild werden die Jugendlichen von der revolutionären Theorie nur als junge Erwachsene mit zeitlich begrenzten spezifischen Verhaltensmustern zur Kenntnis genommen. Übersehen wird dabei, daß sich heute im Gegensatz zu früher im Generationenkonflikt ein Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise ausprägt, der den traditionellen Anpassungs- und Integrationsprozeß in Frage stellt. Damit erfüllt sich aber eine wesentliche Bedingung für die soziale Revolution: die fortschreitende Desintegration der Gesellschaft.
Dazu einige Einzelheiten: die Autorität der älteren Generation hatte früher ihre rationale und zugleich materielle Grundlage in der Überlegenheit des Wissens und der Erfahrung der Älteren auf technologischem, soziotechnischem und wissenschaftlichem Gebiet. Durch die enorme Beschleunigung der sich in Permanenz auf diesen Gebieten vollziehenden Umwälzungen repräsentieren die Älteren heute überholtes Wissen, antiquierte Erfahrungen, unbrauchbare Verhaltensmuster( Dequalifikation durch "moralischen Verschleiß" von Wissen und Fertigkeiten). Der auf diesen Elementen gegründete Autoritätsanspruch ist - auch im Sinne profitorientierter Zweckrationalität - weitgehend irrational, also unbegründet, stellt ein soziales Trägheitsmoment dar, das zu dem vom Konkurrenzprinzip bestimmten kapitalistischen Akkumulationsprozeß in Widerspruch geraten ist. Der Autoritätsanspruch der Älteren ist in dieser Lage nur noch eine Waffe zur Verteidigung ihrer materiellen Interessen gegenüber den jüngeren. Diese sind die Träger des für den kapitalistischen Verwertungsprozeß unentbehrlichen aktuellen Wissens und der modernen technologischen Qualifikation und Soziopraktiken, die aus diesem Grunde die Älteren immer schneller aus ihren Positionen im Produktionsprozeß verdrängen, dequalifizieren und schließlich deklassieren.
Diese Tendenz wird noch verstärkt durch die ständig steigenden seelischen und nervlichen Belastungen im Produktionsprozeß selbst. Sie bedingen einen gesteigerten Verschleiß der geforderten Arbeitsfähigkeit, die mit zunehmendem Alter schließlich nur nochunvollständig regeneriert werden kann. Diese Entwicklung wirkt sich nachhaltig und langfristig auf die Beschäftigungsstruktur aus. Dem widerspricht nur scheinbar die Tatsache, daß in einer Reihe von wichtigen Industrieländern (USA und Frankreich) die Jugendlichen in der"stockenden relativen Übervölkerung", im Arbeitslosenheer,überrepräsentiert sind. Dieser Umstand erklärt sich in erster Linie daraus, daß zum sozialen Besitzstand der "etablierten" Arbeiterklasse in den entwickelten Industrieländern der entweder durch Gesetz oder die Gewerkschaften garantierte relative Kündigungsschutz gehört, der sich im Falle von Unterbeschäftigung in erster Linie zu Lasten der jungen Arbeiter auswirkt (ältere Arbeiter dürfen nur ausnahmsweise gekündigt werden: junge werden daher nicht eingestellt, von den Gewerkschaften nicht vermittelt bzw. vor den Älteren gekündigt). Ein weiteres Moment ist die Unzulänglichkeit des Schulsystems, das ein Überangebot an ungelernten Arbeitern produziert. Derartige sekundäre Regulatoren können jedoch die Entwicklung zu einer "jugendlichen Gesellschaft" nicht aufhalten, weil diese in den ökonomischen Zwangsgesetzen der kapitalistischen Produktionsweise beschlossen ist. Diese Tendenz beherrscht heute bereits die zweite wichtige Sphäre der kapitalistischen Reproduktion, die Konsumsphäre, in der die für das System lebensnotwendige Beschleunigung des Kapitalumschlages durch das jugendliche Element vermittelt wird - ein Umstand, der sich in den dominierenden Stereotypen der Konsumreklame ausdrückt: "jung,dynamisch, neu, aufgeschlossen usw.", die werbepsychologisch synonym sind.
Das notwendige Resultat dieser Entwicklung ist eine Änderung des Bewußtseins der jugendlichen selbst, in dem sich die veränderte Rolle der Jugend im sozio-ökonomischen Prozeß, also ihr veränderten Sein im Spätkapitalismus widerspiegelt. Die revolutionäre Bedeutung des veränderten Bewußtseins hat sich in den Kämpfen der vergangenen Jahre umrißhaft gezeigt. Die daraus zu ziehenden theoretischen Schlußfolgerungen sind noch unzulänglich. Eines läßt sich jedoch schon mit Sicherheit feststellen: Es hat sich in den vergangenen Jahren ein eigenes gesellschaftliches Selbstbewußtsein der Jugend entwickelt, das sich nicht mehr auf die " Welt der Erwachsenen", auf deren Erwartungshaltungen und Normvorstellungen bezieht. Die Idole der Jugend, nach denen sie sich formt,bewohnen nicht mehr die Welt der Erwachsenen; ja sie stehen meistens in erbitterter Opposition zu dieser. Träumten früher die Jugendlichen davon, möglichst früh "erwachsen" zu sein, ihren erwachsenen Vorbildern gleich zu werden, so jagt ihnen heute diese Identifikation Angst ein. Sie fürchten sich davor, "auch mal so zusein oder zu werden wie ihre 'Alten'".
Durch die im Kapitalismus wirkenden Widersprüche sieht sich die Jugend in diesem eigenständigen Selbstbewußtsein ständig bestätigt. Es wird widerstandsfähig und bildet die Grundlage für Verhaltensmuster, die noch lange über die "biologische" Jugendzeit hinaus fortwirken. An diesem Selbstbewußtsein stumpfen die hauptsächlichen Anpassungsinstrumente der Gesellschaft, Elternhaus, Schule und Kirche, schnell ab. Die übrigen gesellschaftlichen Zwangsmechanismen, die normalerweise die in anderen Bereichen bereits erzielte Anpassung nur noch zu stabilisieren hatten, treffen heute in zunehmendem Maße auf unangepaßtes Verhalten. Durch das neue" Jugendbewußtsein" kommen eine ganze Reihe von jugendspezifischen "unangepaßten" Verhaltensweisen und Lebensinhaltsvorstellungen zur Geltung, die von den Jugendlichen bewußt vertreten und gegen Angriffe verteidigt werden. In der Jugend entsteht einen Ideologie der Anpassungsverweigerung, die - so konfus sie im einzelnen auch sein mag - heute schon breite Massen ergriffen hat.
In einer Klassengesellschaft hat diese Ideologie notwendig Klassencharakter. Da sie als Ausdruck eines existenziellen Interesses der jugendlichen die Absage an die für den kapitalistischen Verwertungsprozeß geforderten Verhaltensweisen zum Gegenstand hat, ist sie tendenziell antikapitalistisch und revolutionär. Sie ist verbunden mit der für Jugendliche kennzeichnenden Bereitschaft zu aggressiver Äußerung bis hin zur Gewaltanwendung in großem Maßstab. Dort ist in erster Linie das Potential für revolutionäre Gewaltanwendung zu suchen und zu finden.

" In den Fabriken, wenn es darum geht, den Streik und die Besetzungen zu organisieren oder sich mit den C R S zu schlagen, in den Universitäten, auf der Straße, in den Oberschulen, überall ist die Jugend bei weitem am entschiedensten. Ähnlich verhält es sich mit den jungen Ingenieuren und technischen Kadern, die an der Bewegung teilnahmen wie niemals bei einem Streik zuvor (denkt an Saclay! der Verf.)",

schreibt Andrè Glucksmann über die Erfahrungen der Mairevolution in Frankreich.
Die neue Qualität des Generationenkonflikts wird auch von Andrè Gorz gesehen:

" Die Radikalisierung der Jugendlichen unter 25 Jahren ist eine weltweite Erscheinung und hat in allen hochentwickelten kapitalistischen Ländern denselben Inhalt. Das weist schon darauf hin, daß es sich bei der Maibewegung um etwas Grundsätzliches und durch aus nicht Nebensächliches handelt . . .
Ihre Radikalisierung kann man meiner Meinung nach nur verstehen, wenn man ausgeht von der sich überstürzenden Entwicklung, die sich seit 10 Jahren auf dem Gebiet der Technik, der Wissenschaft und der Politik vollzieht. . . Die Beschleunigung der Entwicklung auf wissenschaftlichem, technischem und kulturellem Gebiet hat unter anderem zur Folge, daß sich Kinder und Jugendliche in ihrer Lebensweise stärker als bisher von ihren Eltern absetzen; zudem sind sie besser informiert, sie gehen durch eine andere Ausbildung und haben eine andere Zukunft vor sich. Was für die Jugendlichen bereits selbstverständlich ist und ihr gegenwärtiges und weiteres Leben nachhaltig beeinflußt (ob es sich dabei nun um Lehrmethoden auf dem Gebiet der Mathematik oder der Sprachen handelt, um Konsumgüter, um den technischen Charakter der Geräte, mit denen sie täglich zu tun haben, oder um das Angebot an Ideologien und die Produkte der Kulturindustrie), das ist für die älteren ein Buch mit sieben Siegeln. Daher erklärt sich, daß das Bezugssystem der älteren völlig überholt ist. Dies hat zur unmittelbaren Folge, daß die Autorität der Eltern ins Wanken gerät und Erfahrungen, die sich als' Lebensweisheit' ausgeben, nichts mehr wert sind. Dieselben Faktoren geben der Jugendrevolte ihr besonderes Gepräge. Das Althergebrachte,statt wie bisher Achtung einzubringen, bekommt einen eher negativen als positiven Wert: es wird Symbol für das Überholte, das Unverständnis, für die Ahnungslosigkeit gegenüber der augenblicklichen Entwicklung, für die Fixierung an vergangene Niederlagen und Irrtümer. Dieser objektive Autoritätsverlust der älteren Generation erlaubt die Ablehnung jeder Autorität, die den Ansprucher hebt, auf tradierter Erfahrung zu beruhen; er ist zu einer Protesthaltung gegenüber der Autorität der Eltern, Lehrer, Institutionen etc. geworden."

Der erhellende Gedanke findet sich bei Andrè Glucksmann:

" Der Kampf der Studenten enthält die Rebellion der modernen Produktivkräfte in ihrer Gesamtheit gegen die bürgerlichen Produktionsverhältnisse in sich und verleiht ihr öffentlichen Ausdruck."

Glucksmann hat auch die, nach unserer Meinung, richtige theoretische Vermittlung dieses Gedankens angedeutet. Der antagonistische Widerspruch in der kapitalistischen Produktionsweise zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung ist nach Marx nur eine besondere, historische Erscheinungsweise des über die kapitalistische Gesellschaftsformation hinausreichenden Widerspruchs zwischen vergangener, vergegenständlichter, angehäufter Arbeit und unmittelbarer, lebendiger Arbeit.
Das bewegende Element ist die lebendige Arbeit, sind die lebendigen Produktivkräfte, die in der revolutionären Aktion die "zu kleingewordenen" Produktionsverhältnisse sprengen. Diese revolutionäre Produktivkraft ist das Proletariat.

" Von allen Produktionsinstrumenten ist die größte Produktivkraft die revolutionäre Klasse selbst."

Innerhalb dieser Produktivkraft selbst vollziehen sich im Laufe ihrer Geschichte strukturelle Veränderungen, die den Charakter des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wandeln und den Gegensatz verschärfen. Die politische Arbeiterbewegung ist den jeweiligen Strukturänderungen gefolgt, wobei jeweils die im sozio-ökonomischen Bezugssystem dominierende Schicht der Arbeiterklasse den politischen Charakter der Bewegung weitgehend prägte.
Im Beginn der kapitalistischen Entwicklung auf der Grundlage der einfachen Warenproduktion wurde die Lohnarbeiterklasse repräsentiert von den Handwerksgesellen, denen der Zugang zur Zunftmeisterschaft und damit zur selbständigen Existenz als Warenproduzenten verwehrt war. Sie organisierten sich gegen die Zunftmeister in Gesellenvereinen als politischem Ausdruck der Arbeiterbewegung. Mit dem weiteren Zerfall der handwerklichen Warenproduktion entwickelte sich die Manufaktur und mit ihr ein neuer Arbeitertypus, der zum bestimmenden Element der Arbeiterklasse wurde. Obwohl die Schicht der Handwerksgesellen noch neben den Manufakturarbeitern weiterbestand, prägten jetzt diese und nicht die Zunftgesellen den Charakter der politischen Arbeiterbewegung ( Maschinenstürmerei). Als sich das Fabriksystem durchsetzte, änderte sich die Struktur der Arbeiterklasse abermals. Die Industriearbeiterschaft der klassischen Periode des Kapitalismus trat auf den Plan und schuf die revolutionäre Arbeiterbewegung, die fortan die Szene bestimmte.
Im Schatten des industriellen Handarbeiters entwickelte sich die Rolle des" Kopfarbeiters", der durch die dritte industrielle Revolution zur Schlüsselfigur der weiteren Entwicklung der Produktivkräfte wurde. In der Tendenz "verschwindet die unmittelbare Arbeit und ihre Quantität als das bestimmende Prinzip der Produktion . . . und wird sowohl quantitativ zu einer geringen Proportion herabgesetzt, wie qualitativ als ein zwar unentbehrliches, aber subalternes Moment gegen die allgemeine wissenschaftliche Arbeit, technologische Anwendung der Naturwissenschaften nach der einen Seite, wie gegen die aus der gesellschaftlichen Gliederung in der Gesamtproduktion hervorgehende allgemeine Produktivkraft."
Diese abermalige Strukturänderung innerhalb der Arbeiterklasse in aus den bereits dargelegten Gründen notwendig mit einer Akzentverschiebung zugunsten des jugendlichen Teils dieser Klasse verbunden. In der Studentenschaft treffen beide Aspekte - Jugend und künftiger Kopfarbeiter - zusammen. Darin dürfte ihr bestimmter Einfluß auf die wiederbelebte revolutionäre Arbeiterbewegung begründet sein. So gesehen ist die handarbeitende Industriearbeiterschaft tendenziell eine Restschicht, die auf Schritt und Tritt ihren vor organisatorischen Zusammenhalt, der mit der Massierung großer Arbeiterarmeen unter dem einheitlichen Kommando eines Unternehmers gegeben war und der die politische Schlagkraft des Industrieproletariats ausmachte, verlieren wird, die darüberhinaus im weiteren Verlauf der industriellen Revolution auch von dem unmittelbaren Zugriff auf die entscheidenden ökonomischen Hebel verdrängt werden wird. Ausdruck dieser Entwicklung ist unvermeidlich eine" Deklassierung" des industriellen Handarbeiters in den politischen Arbeiterorganisationen selbst. Über diesen Zustand wird man auch mit romantischen Schwärmereien und mit dem begeisterten Beifall nicht hinweg täuschen können, der jedem Arbeiter zuteil wird, der irgendwo und irgendwann einmal das Wort ergreift - egal was er sagt (der Beifall brandet regelmäßig schon nach dem ersten Satz auf, wenn sich der Redner vorstellt: Ich bin ein Arbeiter.).
Die strukturellen Veränderungen der in der Arbeiterklasse gegebenen Produktivkraft bringen zahlreiche bisher untergeordnete und unentwickelte Widersprüche in den Brennpunkt der Klassenauseinandersetzung. Die Jugend ist im gesellschaftlichen Prozeß zu einem positiven, treibenden Moment geworden, "aber die bürgerliche Gesellschaft bestimmt sie negativ,indem sie sie von sich ausschließt. Der Jugendliche haust in der Gesellschaft, ohne in ihr zu wohnen, er wird von ihr ausgebeutet, ohne in sie 'integriert' zu sein. Die kapitalistische Wirtschaft und die staatliche Verwaltung errichten ihren partikularen und variablen Bedürfnissen entsprechend Grenzpfähle, wobei das umstrittene Gebiet mal größer, mal kleiner wird. . ."
Aufgrund der veränderten sozialen Rolle der Jugend hat deren Sturm auf diese Grenzpfähle aus einer vergangenen Epoche eine ganz andere Wucht und eine unmittelbare revolutionäre Bedeutung, weil der Widerstand der zur Fessel gewordenen Produktionsverhältnisse gegen die höherentwickelten Produktivkräfte bzw. gegen deren Entfaltung die Notwendigkeit der Beseitigung dieser Produktionsverhältnisse in das Aktionsfeld der Jugend rückt. Ein wesentlicher Teilaspekt der Krise des kapitalistischen Systems ist sein offensichtliches Unvermögen, das Bildungswesen den Anforderungen der modernen Technologie anzupassen, ohne sich selbst in Frage zu stellen. Hier tritt zur Zeit der Fesselungseffekt der historisch überholten Produktionsverhältnisse am deutlichsten in Erscheinung; man braucht sich nur einmal den für das vor uns liegende Jahrzehnt errechneten Bildungsbedarf der Gesellschaft und deren ebenfalls ziemlich exakt zu berechnende mögliche Bildungsleistung zu vergegenwärtigen.
Eine notwendige Bedingung der Herrschaft des Kapitals ist das Bildungsprivileg einer Minderheit, die als Schicht mit den besitzenden Klassen verbundenen ist. Der explosiv ansteigende Bedarf an intellektueller Arbeit baut zwangsläufig das Bildungsprivileg ab (in den USA sind heute schon 6 Mill. Studenten registriert; in der Landwirtschaft der USA sind zur gleichen Zeit nur noch 5,5 Mill. Personen einschließlich der selbständigen und helfenden Familienmitglieder erwerbstätig; legt man eine durchschnittliche Ausbildungsdauer von 5 Jahren zugrunde, ergibt sich schon auf dieser Grundlage ein ganz erheblicher Anteil der Hochschulabsolventen an der Erwerbsbevölkerung; die Tendenz ist nach wie vor steigend; nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß in den USA die Arbeitsplätze für ungelernte Arbeiter von einstmals 13 Mill. auf weniger als 4 Mill., wahrscheinlich sogar weniger als 3 Mill. zurückgegangen sind).
Der rasche technologische Wandel und die Wucht der Wissenslawine läßt einmal gelerntes Faktenwissen schnell veralten und unbrauchbar werden. Das Schwergewicht der Ausbildung muß folglich auf ein möglichst breites interfakultatives Grundlagenstudium und ein intellektuelles Training im Sinne der Förderung einer kritischen Lernhaltung, einer flexiblen und vielseitigen Lernfähigkeit und der Lerninitiative gelegt werden. Das Resultat einer solchen Ausbildung wäre eine kritische Rationalität, die ihre Träger auf Schritt und Tritt in Konflikt brächte mit der autoritär-hierarchischen Gliederung der Gesellschaft und der profitorientierten Zweckrationalität des Kapitalverwertungsprozesses, die auf gesellschaftliche Interessen bezogen extreme Irrationalität ist. Dieser Widerspruch berührt die Herrschaftsinteressen der Besitzenden unmittelbar. Er ist daher innerhalb des kapitalistischen Systems nicht lösbar.
Gegenüber dieser Entwicklung muß sich tendenziell auch die bisher gegenüber der Intelligenzschicht geübte Bestechungspraxis als unwirksam erweisen. Das Wesen der Bestechung bzw. ihrer Wirkungsweise ist der von der Masse (und damit von deren Interessen) absondernde Charakter der Zuwendung, nicht deren absoluter Betrag. Die Bestechung soll komplicenhaftes Einverständnis mit der Herrschaft gegen die Unterdrückten schaffen. Eine ohne sie vorhandene Interessengemeinschaft wird aufgebrochen und der in der Konkurrenz um die Gratifikation entstehende Interessengegensatz der Herrschaft dienstbar gemacht. In dem Maße, wie sich die Intelligenzschicht ausweitet und ihre Bedeutung auf allen Gebieten zunimmt, müßten auch die Bestechungsleistungen ausgeweitet, d. h. verallgemeinert werden. Unter diesen Bedingungen schlagen sie um in eine allgemeine Lohnanhebung für eine bestimmte Schicht der Lohnarbeiterklasse, deren gemeinsames Klasseninteresse damit eben gerade nicht mehr partikularisiert werden könnte.

Aus allem folgt, daß die Jugend allgemein und die junge Intelligenz in besonderer Weise von einer schnell zunehmenden Verschärfung der Klassenwidersprüche betroffen ist und von ihr auch in Zukunft - und zwar mit steigender Tendenz - ein kämpferische antikapitalistisches Engagement zu erwarten ist. Die revolutionäre Avantgarde muß auf diese Entwicklung eingehen.

9. Die revolutionäre Organisation des Proletariats im und durch den bewaffneten Kampf schaffen!

Es ist schlecht für die Revolutionäre, wenn sie nicht begreifen,daß die revolutionäre Theorie die Massen nur dann ergreift, wenn sich ihnen anschauliche Möglichkeiten zu konkreter, revolutionärer Veränderung ihres Alltages entsprechend ihren Bedürfnissen eröffnen. Nun scheint man sich allseitig zu dem Irrtum überredet zuhaben, revolutionäre Änderungen würden ausnahmslos erst durch die Lösung der Machtfrage im gesamtgesellschaftlichen Maßstab möglich, wobei die Machtergreifung durch das Proletariat als ein mehr oder weniger scharf eingegrenztes Ereignis und nicht als ein langwieriger,teils stetiger, teils sprunghafter Prozeß begriffen wird.
Die inzwischen siegreich beendeten revolutionären Volkskriege in verschiedenen Ländern haben Energien jedoch gerade aus den revolutionären Veränderungen gezogen, die schon während des langdauernden Krieges verwirklicht wurden, die also schon vor der endgültigen Lösung der Machtfrage durchgesetzt werden konnten. Es ist unlogisch, den Überlegungen, welche revolutionären Strukturänderungen von den Massen in den kapitalistischen Industrieländern schon vor der " Machtübernahme"erkämpft werden können, mit dem Hinweis zu begegnen, in China, Indochina und Kuba seien revolutionäre Reformen während des Volkskrieges jeweils nur in befreiten Gebieten durchgeführt worden, uns aber weder eine antifeudalistische Landreform ins Haus stehe noch die Schaffung befreiten Gebiete nach dem Vorbild der revolutionären Bewegungen in halbfeudalen Agrarländern möglich sein werde.
Das praktische revolutionäre Beispiel ist der einzige Weg zur Revolutionierung der Massen, die eine geschichtliche Chance zur Verwirklichung des Sozialismus beinhaltet. Dabei ist "die Eroberung der Macht der Endpunkt eines Prozesses, dessen erste Voraussetzung der revolutionäre Kampf einer Minderheit und die zweite die Bildung einer Mehrheit durch den Kampf wäre." Die chinesische Revolution ist diesen Weggegangen. In ihr hat sich der Widerspruch zwischen Avantgarde- Organisation und Spontaneität der Massen gelöst in der Einheit von Organisationsbildung und unmittelbarer Teilnahme der Massen an dem von der Avantgarde- Organisation geführten revolutionären Kampf. Die Notwendigkeit für die Revolutionäre, "in den Massen zu schwimmen wie ein Fisch im Wasser", bewirkte die politische und organisatorische Durchdringung von Avantgarde und Masse zu einer dialektischen Einheit, die eine neue geschichtliche Qualität darstellt. Die Tatsache,daß die Massen, auch soweit sie nicht zu den Reihen der Partei und der Roten Armee standen, schon im Beginn des langjährigen revolutionären Prozesses als aktives, auf die eigene Initiative angewiesenes Element in den Aufbau der revolutionären Organisation ( Rekrutierung von Freiwilligen für die Rote Armee, Aufstellung von Selbstschutzverbänden und regionalen Truppen, schließlich die selbständige Organisierung und Durchführung von Partisanenaktionen, die Ausbildung örtlicher Machtorgane zur Durchführung der Landreform usw.) und zugleich in die revolutionären Kämpfe selbst einbezogen wurden, schuf einen neuen Revolutionstypus, der die moralische, politische und militärische Widerstandsfähigkeit und Kontinuität der Bewegung in China erklärt.
Haben die Ereignisse in Frankreich im Mai 1968 etwa nicht gezeigt, daß der Widerspruch zwischen Organisation und Spontaneität das zentrale Problem der Revolution ist? Die seitdem zu neuer Aktualität gelangten Debatten über dieses Problem zeigen überdeutlich, daß die Synthese der Gegensätze nicht dadurch erreicht wird, daß man entweder die eine oder die andere theoretische Position einnimmt - hier Luxemburg, dort Lenin; in der Mitte vielleicht noch Trotzki - bzw. die Organisationsfrage durch eine Neuauflage des Anarchismus"liquidiert", sondern allein durch das praktische Moment desrevolutionären Kampfes Rosa Luxemburg hat lange vor der chinesischen Revolution diese Erkenntnis vorformuliert:

" Es ist eben eine ganz mechanische, undialektische Auffassung, daß starke Organisationen dem Kampfe immer vorangehen müssen. Die Organisation wird auch umgekehrt selbst im Kampfe geboren,zusammen mit der Klassenaufklärung."

Wir müssen also einen Angriff unternehmen, um das revolutionäre Bewußtsein der Massen zu wecken. Unvermeidlich treffen wir dabei auf den Widerstand, den das falsche Bewußtsein zur Aufrechterhaltung der Anpassung, zur Erhaltung des mühsam erworbenen seelischen Gleichgewichts in der Unterdrückungssituation mobilisiert. Dieser Widerstand - in bestimmter Weise dem mechanischen Trägheitsmoment vergleichbar - ist der Statthalter des Ausbeutersystems in den Köpfen der Unterdrückten. Die Bomben gegen den Unterdrückungsapparat schmeißen wir auch in das Bewußtsein der Massen.
Mit der Problematik des Widerspruchs zwischen Organisation und Spontaneität aufs engste verknüpft und von entscheidender praktischer Bedeutung ist das uralte Problem der Ungleichzeitigkeit des revolutionären Aufbruchs der Massen. Die Geschichte der Arbeiterbewegung- speziell der deutschen - hallt wider von dem Gezänk der" Führer", die bei jeder spontanen Massenaktion, bei jedem wilden Streik größeren Ausmaßes, bei jeder Barrikade, die irgendwo im Lande errichtet wurde, orakeln mußten, ob "die revolutionäre Situation herangereift sei" und von der Zentrale das Signal zum allgemeinen Aufstand gegeben werden solle oder nicht. Nie konnten sie sich einigen. Allein Lenin hat sich in einer Sternstunde durchsetzen können - gegen den Widerstand anderer Führer. Das Dilemma, keine wissenschaftlich fundierten Kriterien für die Fälligkeit des" Startschusses" in einer Revolution benennen zu können, war allen bewußt. Lenins Formel, die Revolution sei herangereift,"wenn die oben nicht mehr können, und die unten nicht mehr wollen", transformiert das Problem lediglich auf eine literarische Ebene- löst es aber nicht. Das Problem der Ungleichzeitigkeit stellt sich nicht, wenn sich die Revolution aus dem Partisanenkrieg zum Massenaufstand entwickelt. " Die Partisaneneinheit entsteht aus dem Nichts. Sie entwickelt sich aus etwas Kleinem zu etwas Großem." Die Partisanenarmee kämpft jeweils mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften und entwickelt diese durch den Kampf zu größeren Einheiten. Aus der Quelle wird der Bach, aus dem Bach der Fluß, aus dem Fluß der Strom, der schließlich mit seiner gewaltigen Wucht das Unterdrückungssystem wegreißen wird.
Das Warten auf die revolutionäre Situation und das unvermeidliche und verhängnisvolle Zögern, wenn sie eingetreten ist, gehören nach den Erfahrungen der Volkskriege einer vergangenen, noch unreifen Epoche der Revolutionsgeschichte an. Waren diese Haltungen vor der chinesischen Revolution Ausdruck einer unreifen geschichtlichen Erfahrung, in diesem Sinne unvermeidliche Fehler, so sind sie heute vermeidliche Fehler, schlichtes Versagen, Ausdruck einer unentschuldbaren Lernfaulheit.
Es werden Legionen von " Marxisten" anrücken, die mit ganzen Batterien von Marx- Zitaten "nachweisen" werden, daß der hier gezeigte Weg "reines Abenteurertum", " Blanquismus"," Putschismus", " Anarchismus" sei. Nun gut. Die Ismen- Krämerei überlassen wir gern den Schriftgelehrten; wenn wir nur der Revolution in Deutschland einen Schritt näher kommen." Armer Marx und armer Engels, welcher Mißbrauch ist schon mit Zitaten aus ihren Werken getrieben worden!" Jene werden die Erfahrungen der chinesischen, indochinesischen, algerischen, kubanischen, uruguayischen, venezolanischen, bolivianischen, brasilianischen,argentinischen, U S-amerikanischen Revolution mit einer Handbewegung wegwischen und wichtigtuerisch darlegen, daß bei uns die Verhältnisse eben andere seien - als ob wir das nicht wüßten. Die Unterschiede sind erheblich für die Taktik. Sie berühren aber nicht die strategische Perspektive.
Doch in Deutschland hat die Drückebergerei Tradition. Hieß es bis 1919 stets, daß die deutschen Arbeiterbewegung die fortgeschrittenste sei, der unvermeidlich die Macht in nächster Zukunft wie eine reife Frucht in den Schoß fallen werde, und es daher nicht derart barbarischer Klassenkämpfe bedürfe, wie sie das "rückständige" Proletariat in Rußland gegen seine Feinde führte; so hatte man nach 1945 den Kretinismus der Sozialdemokratie als Alibi für das mit Verzweiflung und Resignation drapierte Nichtstun entdeckt. Richtig daran ist nur soviel, daß es zu einer Zeit, als in keiner sozialen Schicht das Bewußtsein von der Notwendigkeit der sozialistischen Revolution lebendig war und nur einige Individuen ( Agartz, Abendroth und wenige mehr)auch im Spätkapitalismus die antagonistischen Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise wirken sahen, an den Beginn revolutionärer Kampfhandlungen nicht zu denken war.
Seit der Revolutionierung der Studenten als Fraktion des Proletariats hat sich die Lage grundlegend gewandelt. Wer heute noch mit dem angeblichen Kretinismus der Arbeiterbewegung argumentiert und fortfährt, "sich seinen dicken Bauch zu reiben, während er kräftig denen applaudiert, die weit weg von hier schon lange begriffen hatten und auf internationaler Ebene den Kampf gegen die Unterdrückung aufgenommen haben", der wird unversehens selbst zum Kretin.

10. Die Angst vor dem Faschismus überwinden, um seine Wurzeln zu vernichten!

In bestimmten Kreisen der " Linken" hat auch ein weiterer Einwand hohen Kurswert: die Verschärfung des Klassenkampfes von unten durch militante Minderheiten beschleunige den Faschisierungsprozeß, ermuntere die Herrschenden zum faschistischen Staatsstreich und gebe für diesen einen plausiblen Vorwand her; dadurch werde die Legalität der propagandistischen und organisatorischen Arbeit in den Massen, also auch deren Mobilisierung gefährdet. Wer so argumentiert, betrachtet die Bedingungen des Klassenkampfes aus dem Kopfstand heraus.
Die bürgerlich-parlamentarische Demokratie, der liberale Rechtsstaat sind das Ergebnis der antifeudalen, bürgerlich-demokratischen Revolutionen. Nutznießer ihrer Errungenschaften waren in erster Linie die bürgerlichen Fraktionen des Konkurrenzkapitalismus. Diesen erwuchs mit der Entwicklung der industriellen Produktion im städtischen Fabrikproletariat ein antagonistischer Gegenspieler, dessen ökonomische und politische Kämpfe in der ersten Phase der Auseinandersetzung darauf zielten, die bürgerlichen Freiheiten ihres Charakters als Klassenprivilegien dadurch zu entkleiden, daß sie verallgemeinert wurden.
Die sozialökonomisch bedingte Scheinhaftigkeit der bürgerlichen Gleichheits- und Freiheitsprinzipien konnte vom Proletariat im Entstehungsstadium seines organisierten Klassenkampfes noch nicht durchschaut werden; dazu bedurfte es erst der Erfahrungen dieses Kampfes selbst. Der Hauptwiderspruch der Klassenkämpfe jener Epoche bestand darin, daß die Interessen des Proletariats tendenziell einen Kompromiß mit dem Kapital ausschließen - Ausbeutung und Unterdrückung sind erst mit der Beseitigung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, also mit dem Kapitalverhältnis selbst überwunden -, das Kapital jedoch zu Kompromissen fähig war. Die Klassenkämpfe mündeten so in Arrangements, die den Arbeitern zwar formale Rechte und soziale Verbesserungen brachten, die ökonomischen und politischen Grundlagen des Kapitalismus aber nicht antasteten.
Wenn es gilt, den organisierten Schlägen des Proletariats auszuweichen und den revolutionären Prozeß unter Kontrolle zu bekommen, kann das Kapital bis zu dem Punkt zurückweichen, wo seine Verwertung unmöglich und seine Herrschaft in Frage gestellt werden. Es kann um so mehr formelle Freiheiten zugestehen, je entwickelter die kapitalistische Produktionsweise ist.

" Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Übervölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und Nachfrage nach Arbeit und daher den Arbeitslohn in einem den Verwertungs Bedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außer ökonomische,unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den ' Naturgesetzen der Produktion' überlassen bleiben, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital."

Auch bei der Verteilung des gesellschaftlichen Mehrprodukts steht dem Gesamtkapitalisten ein beträchtlicher Verhandlungsspielraum zur Verfügung, durch dessen Ausschöpfung er die "legale Periode" seiner Herrschaft, das parlamentarische Regime, und damit seine Existenz überhaupt zeitlich ausdehnen kann. Jedes Abkommen mit dem Kapital bezahlt das Proletariat mit einer - jedenfalls zeitweiligen - Anerkennung der Spielregeln der kapitalistischen Gesellschaft. Erst allmählich stößt es an deren Grenzen und Konzessionsmöglichkeiten. In diesem Grenzbereich versteift sich der Widerstand des Kapitals. Die Klassenkämpfe spitzen sich zu und nehmen einen unversöhnlichen Charakter an. Die im 20. Jahrhundert sich massenhaft ereignende Liquidation des bürgerlichen Rechtsstaates und der parlamentarischen Demokratie ( Italien, Spanien, Deutschland, Österreich, Griechenland usw.) beweist, daß das Kapital nicht zögert, jeden sozialen Kompromiß über den Haufen zu werfen und zu offen-gewaltsamen Formen der Herrschaftsausübung überzugehen, wenn seine Existenz als Klasse auf dem Spiel steht. Wohlgemerkt, es liegt im eigenen Interesse des Kapitals, die verschleierten Formen der Klassenherrschaft so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, weil in ihnen mehr klassenkämpferische Energien des Proletariats kanalisiert, in das kapitalistische System integriert und auf systemerhaltende Reformen abgelenkt werden können als durch eine faschistische Diktatur, die notwendig größeren Gegendruck erzeugt, die Unversöhnlichkeit des Klassengegensatzes stärker zum Bewußtsein bringt und die Machtreserven des Systems erschöpft. Die terroristische Diktatur ist -auch wenn sie schließlich unvermeidlich - im wohlverstandenen Interesse des Kapitals höchst unerwünscht, nur eine " Notbremse". Sie signalisiert stets eine Verschärfung des Klassenkampfes von unten, die gekennzeichnet ist durch brutalere Anstrengungen des Kapitals, sich an der Macht zu halten. Ist das schlecht? Muß man angesichts dieser Entwicklung verzagen und in Wehklagen ausbrechen?
Wenn der Feind seine Kräfte anstrengen muß, um die unterdrückten Klassen niederzuhalten, so ist das nicht schlecht, sondern gut; zeigt es doch, daß das Proletariat wuchtige Schläge gegen den Klassenfeind führt, die ihn zittern machen. Der Faschismus ist ein großes Übel, das größte aller kapitalistischen Übel. Aber die Angst vor dem Faschismus ist schon ein Teil seiner Herrschaft. Das Proletariat darf ihn nicht fürchten, sondern muß ihn bekämpfen und sich auf diesen Kampf vorbereiten. Ganz falsch wäre es, aus Angst vor dem Faschismus auf die Zuspitzung des Klassenkampfes zu verzichten; denn das hieße, dem Kapitalismus kampflos das Feld überlassen, seine Herrschaft garantieren, bis er durch seine Widersprüche die Menschheit in eine Katastrophe reißt, die in der Barbarei endet.
Es wäre der Selbstmord aus Angst vor dem Tode. Man fühlt sich an den bildlichen Vergleich Brechts mit den Kälbern erinnert. Zieht die Herde friedlich auf dem ihr zugewiesenen Weg ins Schlachthaus, brauchen die Treiberden Stock nicht zu schwingen.

Je entschlossener sie aber von diesem Weg wegdrängt, um so heftiger wird der Knüppel tanzen. Die " Linke" in Europa ist im Begriff, angesichts der faschistischen Bedrohung die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

" Durch die Ablehnung, sich in den Prozeß einzuschalten, [. . .] haben die Reformisten und Neureformisten sich immer selbst dazu verurteilt, jede revolutionäre Aktion als eine' Provokation' die die Massen schwächt und 'die Reaktion stärkt', zu betrachten. Das war die stereotype Formel der deutschen Sozialdemokratie in den Jahren 1919, 1920, 1923 und 1930 bis 1933. Es war der Fehler der 'linken Abenteurer, der Anarchisten, Putschisten, Spartakisten, Bolschewisten' . . ., wenn die Bourgeoisie in der konstituierenden Versammlung von Weimar die Mehrheit bekommen hat, denn ihre 'gewaltsamen Aktionen' haben 'das Volk erschreckt',seufzten die Scheidemann 1919. Es war der Fehler der Kommunisten, wenn die Nazis immer stärker wurden, denn durch die Drohung der Revolution sind die Mittelklassen in das Lager der Konterrevolution getrieben worden,wiederholten sie 1930-1933." Damit nicht genug. Die damals als " Provokateure" Geschmähten, die kommunistischen Parteien, die 1933 das deutsche Proletariat gegenüber dem Faschismus wehrlos ließen, weil sie glaubten, diesen werde in drei Monaten abgewirtschaftet und den Boden für die sozialistische Revolution bereitet haben, eben diese " Kommunisten" denunzieren heute jene, die, indem sie kämpften, im Mai 1968 die stärksten und lebendigsten Hoffnungen auf eine sozialistische Revolution geweckt haben, als"agents provocateurs".
Die " L' Humanitè" titulierte in deutlicher Anspielung auf ein nationalistisches Ressentiment Daniel Cohn Bendit als "deutschen Anarchisten" - "Cohn Bendit nach Dachau!" echote die Reaktion; Sèguy hetzte gegen "unruhestiftende Elemente und Provokateure". Nachdem Arbeiter und Studenten gemeinsam und zum Teil erfolgreich die von Streikenden besetzten Renault- Werke bei Flins gegen die CRS verteidigt hatten,schrieb " L' Humanitè" unter der Schlagzeile " Die Geismar- Gruppen organisieren eine Provokation gegen die Streikenden von Renault": " Die militärisch organisierten Geismar- Kommandos sind jetzt zur Provokation gegen die Arbeiterbewegung übergegangen. Sie kommen den Gaullisten zu Hilfe, sie machen sich zu Komplicen der Renault- Direktion und der Herrschenden, zu Komplicen der Unternehmer der Metallindustrie."
Das Büro der CGT warf General de Gaulle vor: " Er hat vergessen, die wahren Urheber der Krawalle und Provokationen zu nennen, deren Machenschaften,einschließlich derer gegen die Wiederaufnahme der Arbeit, von der Regierung mit einzigartigem Wohlwollen gesehen werden."

Eine kaum mißzuverstehende Aufforderung an den Staat,die Revolutionäre des Mai 1968 "zur Verantwortung zu ziehen". Ekelhaft - Doch Verrat und Verleumdung dürfen den Blick für die geschichtlichen Entwicklungslinien nicht trüben, damit das Proletariat in Deutschland nicht ein zweites Mal dem Faschismus wehrlos in die Hände fällt:

" Der revolutionäre Fortschritt bricht sich Bahn in der Erzeugung einer geschlossenen und mächtigen Konterrevolution, d.h. indem er den Gegner zwingt, sich zu seiner Verteidigung immer extremerer Mittel zu bedienen, und so immer machtvollere Mittel des Angriffs entwickelt."

Hört ihr? Marx spricht von Angriff. Er lehrt uns, daß der revolutionäre Fortschritt unvermeidlich die Konterrevolution erzeugt. Wer nur darauf bedacht ist, den jämmerlichen Rest von bürgerlichen Scheinfreiheiten zu verteidigen, der muß allerdings den revolutionären Fortschritt fürchten wie die Pest, denn er führt zum Widerruf der kleinen Konzessionen des Kapitals, die ja nur gemacht wurden, um die Revolution zu verhindern. Es ist nicht die Stärke der proletarischen Klassenbewegung, die den Faschismus bannt, sondern die Schwäche der revolutionären Tendenzen, die ihn entbehrlich macht. Und merkt euch: " Die Unfähigkeit zur Gewaltanwendung schlägt um in die Ohnmacht gegenüber dem Faschismus."
Die Massen zur antikapitalistischen Aktion mobilisieren, ohne gleichzeitig die Bedingungen einer erfolgreichen militärischen Gegenwehr gegen den Faschismus zu entwickeln, heißt die eigenen Soldaten ohne Gewehre in den Krieg schicken: das ist Abenteurertum, ein unverzeihliches Verbrechen an der Arbeiterklasse. Redet nicht länger darüber, wie der Faschismus zu verhindern sei; denn er ist nicht zu verhindern- aber er ist besiegbar. Denkt darüber nach, was getan werden muß, um ihn endgültig niederzuwerfen und handelt danach!
Die entscheidende Faschisierungsphase wird für Europa vermutlich einsetzen, wenn der Faschismus in den USA zur bestimmenden politischen Tendenz geworden ist. Die ökonomische und soziale Krise, die ihn dort auf die Tagesordnung gesetzt hat, ist deutlich sichtbar:
Zum einen hat die US- Wirtschaft ihr Produktivitätsmonopol auf dem Weltmarkt und damit tendenziell ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren. Nachdem die europäische und japanische Konkurrenz auf fast allen wichtigen Gebieten das technologische Niveau der USA eingeholt hat, kann das US- Kapital die drei-bis fünffach höheren Reallöhne nicht mehr verkraften. Es ist gezwungen, einen umfassenden Angriff auf die Einkommen der amerikanischen Arbeiterklasse zu führen.
Zum anderen ist den amerikanischen Großstädtern durch die notwendig wachsende "öffentliche Armut" ein zunehmendes Siechtum beschieden. Der Hexensabbat der Kriminalität in den Straßen der Häuserwüsten ist der Popanz, mit dem die amerikanischen Faschisten auf dem Hintergrund allgemeiner Unzufriedenheit ihre Gefolgschaft rekrutieren und bewaffnete Bürgerwehren mit der Funktion faschistischer Sturmabteilungen aufstellen werden. Die Anfänge dieser Entwicklung sind in den USA schon heute täglich zu beobachten und viele finden sie schon selbstverständlich. Uns bleibt nur noch wenig Zeit!

Was sind die nächsten Schritte?
- Umfassende Propaganda für den bewaffneten Kampf; den Massen erklären, warum dieser notwendig und unvermeidlich ist und wie er vorbereitet werden kann (konspirative Flugblätter und Wandparolen).
- Anleitungen für die Herstellung von Waffen, für die Kampftaktik usw. auf die gleiche Weise verbreiten.
- Kommandotruppen bilden (3er-,5er-, 10er- Gruppen) mit Genossen, die man sowohl in persönlicher als auch in politischer Beziehung gut kennen muß, um beurteilen zu können,ob sie den Anforderungen und Belastungen des bewaffneten Kampfes (insbesondere im Knast) standhalten und unter allen Umständen (auch im Bett!) den Mund halten können. Die Zusammensetzung der Kommandos kann nicht in Gruppen und Organisationen diskutiert oder gar beschlossen werden, die sich nicht schon selbst durch eine entsprechende Praxis als intakte konspirative Einheiten erwiesen haben. Es ist ein großer Fehler, Leute mitreden zulassen, die selbst nicht völlig entschlossen sind, am Kampf teilzunehmen. Es ist auch unmöglich, bewaffnete Gruppen aus "legalen" Organisationen hervorzubringen. Diese (auch deren leitende Kader!) sind unvermeidlich durchsetzt mit Schwätzern, Angebern und Zauderern, die, um ihre eigene ängstliche oder unentschlossene Haltung zu verschleiern und zu rechtfertigen, immer neue Theorien gegen den bewaffneten Kampf und seine konkrete Vorbereitung erfinden werden. Habt ihr ihre Argumente Nr. 1-99 widerlegt, erfinden sie das hundertste. Aus dem gleichen Grunde kann sich die Kommandoeinheit von "legalen" Organisationen auch nicht"bürokratisch" kontrollieren lassen. Wer es dennoch versucht,wird dafür mit seiner eigenen Freiheit oder der seiner Genossen bezahlen müssen. Eine kämpfende Gruppe kann auch nur durch den Kampf selbst entstehen. Alle Versuche, die Gruppe außerhalb der Bedingungen des" Ernstfalles" organisieren, ausbilden und trainieren zu wollen,führen zu äußerst lächerlichen Resultaten - manchmal mit tragischem Ausgang.
- Die Kämpfer sollten, solange es irgendwie geht, an der offenen politischen Arbeit in den Betrieben, in den Wohnbezirken und in der Universität teilnehmen.

- Den Kampf beginnen und die Verbindung zu anderen Kommandos herstellen, ohne die Sicherheit der Gruppen zu gefährden.

Habt Mut zu kämpfen!
Habt Mut zu siegen!
denn
für alles Reaktionäre gilt,
daß es nicht fällt,
wenn man es nicht niederschlägt.


                                                                                                                                                                zurück nach oben
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